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Sennett und Sunzi

Was haben die Bücher "Together" und "Die Kunst des Krieges" miteinander zu tun? Was haben Kooperation und Krieg miteinander zu tun? Eine Menge. Es geht um 

 

Richard Sennett: Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation.

und

Sunzi (auch: Sun Tsu): Die Kunst des Krieges.

 

(unten die Quellenangaben zu den Ausgaben, auf die ich mich beziehe)

 

Beide Bücher gehören zu meiner Bibliothek. Der Anlass, sie erneut zu lesen, war - wie so oft - die Zusammenarbeit mit einem Klienten (Coaching einer Führungskraft). Auf die Lektüre von "Together" folgte Sunzi und dann ging es zwischen beiden Büchern hin und her.

 

Together von Richard Sennett

Der Soziologe Richard Sennett (geb. 1943) beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung der Städte, Arbeit in der modernen Gesellschaft und der Soziologie von Kultur. Er ist seit 1987 mit der Soziologin Saskia Sassen (geb. 1947) verheiratet. Sie hat den Begriff "global city" geprägt und beschäftigt sich mit Globalisierung, Global Cities (Weltstadt) und internationaler Migration. Beide sind für ihre hervorragenden Arbeiten seit Jahrzehnten bekannt. Das Buch Together ist der zweite Band einer Trilogie, die Sennett "Homo Faber" nennt. 

 

I've baptized these three books the 'homo faber project', drawing on the ancient idea of Man as his or her own maker - a maker of life through concrete practices.

(Sennett, Together, 2012, p. x)

 

Auf die Einleitung "The Cooperative Frame of Mind" folgen die drei Teile 

  • "Cooperation Shaped": Wie entstand Zusammenarbeit in den vergangenen Jahrhunderten? Politische, historische, soziale und kulturelle Entwicklungen. 
  • "Cooperation Weakened": Ungleichheiten in der Kindheit; die Erosion von Kooperation in der Arbeit Erwachsener, Sennett betrachtet hier vor allem das Weniger-werden von Beziehungen, Kooperation, Autorität und Vertrauen; und der einzelne Mensch als "uncooperative self": Angst, Rückzug, Narzismus, Bequemlichkeit/Selbstgefälligkeit (complacency), unzuverlässige Zusammenarbeit, Workaholics.
  • "Cooperation strengthened": Wie können Menschen Zusammenarbeit, das miteinander Leben verbessern, (wieder) erlernen? Etwas bauen und reparieren, die Handwerkskunst von Kooperation; der Umgang miteinander, "everyday diplomacy" und Commitment: wie Verpflichtung, Engagement und Hingabe entstehen können.

Und schließlich: Montaigne's Katze.

 

Michel de Montaigne (1533-1592) [...] "When I am playing with my cat, how do I know she ist not playing with me?"

(Sennett, Together, 2012, p. 174)

 

Sennett erzählt von sechs Arten des Austausches (exchange), des Gebens und Nehmens (p. 72 ...)

 

o Altruismus: Selbstaufgabe.

o Win-win: beide haben etwas davon.

o Unterscheidung (differentiating): beide erkennen ihre Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten.

o Nullspiel (zero-sum): einer verliert, ihm bleibt aber genug, um es erneut zu versuchen.

o Alles an den Gewinner (winner takes all): Vernichtung des Verlierenden.

 

Kennen Sie den Satz "we agree that we disagree"? Ich finde ihn sehr hilfreich in Auseinandersetzungen, falls es nicht zu einem win-win kommen kann. Dann können beide ihr Gesicht wahren und einen Weg aus dem Konflikt finden. Denn Austausch kann auch ein Konflikt sein, wie vor allem zero-sum und winner takes all zeigen.

 

Kooperation hat eine Menge mit Respekt, Autorität und Würde zu tun. Kooperation kann und sollte sich nicht einfach nur auf ein Ereignis oder Projekt beziehen. Sennett erzählt, wie in der chinesischen Kultur Menschen dies mit guanxi tun. Übersetzen lässt es sich nur schwer, am ehesten mit Würde und auch Pflicht. Im europäischen Kulturraum entspricht dies vielleicht am ehesten dem "mein Wort gilt". guanxi ist ein Beziehungsnetzwerk aus Familie und "alten Freunden" (den Begriff habe ich von James Clavell, zu ihm gleich mehr), das über Generationen wächst. Die Menschen tun etwas füreinander in ihren Geschäften, Arbeiten, Privatleben. Harte Kritik steht für Unterstützung des anderen: ihr oder ihm weiterhelfen.

 

Kooperation kann es auch in Konflikten geben.

 

Konflikte ... Krieg

Privatleben, Arbeitsleben, öffentliches Leben sind voller Konflikte bis hin zum Krieg. Menschen haben immer und werden weiterhin miteinander Krieg führen. Das müssen wir meiner Meinung nach akzeptieren. Also gilt es, Wege zu finden, wie Krieg nicht zu Zerstörung und Schädigung von Menschen und Natur führt, die nicht Teile der Kämpfenden sind. 

 

Kriege führen zu immer mehr Opfern in der Zivilbevölkerung, der Zerstörung ziviler Einrichtungen, ganzer Städte und der Natur an vielen Orten der Welt, nicht nur in der Ukraine. 

 

Wenn wir also akzeptieren, dass es Kriege gibt, wie können wir Kriege vermeiden und - wenn dies nicht möglich ist - sie möglichst rasch und mit möglichst wenig Schaden für Menschen und Natur beenden?

 

Die Kunst des Krieges von Sunzi

Sunzi (auch: Sun Tsu) war ein chinesischer Philosoph und General, der vor ungefähr zweitausendfünfhundert Jahren das Buch "Die Kunst des Krieges" verfasst hat. 

 

James Clavell (1921-1994) hat eine Übersetzung von Lionel Giles (1875-1958) aus dem Jahr 1910 bearbeitet und ein Vorwort dazu geschrieben, erschienen 1983 bei Delacorte Press. 1988 erschien bei Droemer die Übersetzung aus dem Amerikanischen ins Deutsche von Jürgen Langowsky. James Clavell ist vor allem für seine Bücher Rat King, Tai Pan, Shogun, Noble House, Whirlwind und Gai-Jin bekannt. Sie baiseren auf eigenen Erlebnissen (Kriegsgefangenschaft) und ausführlichen, jahrelangen Recherchen, auch vor Ort. (Kurzes Review: lehrreich und unterhaltsam, alle.)

 

Sunzi's Buch ist kurz. Dreizehn Kapitel, 159 Seiten, B 14,5 cm, H 17,5 cm  

 

I Planung

II Über die Kriegsführung

III Das Schwert in der Scheide

IV Taktik

V Energie

VI Schwache und starke Punkte

VII Manöver

VIII Taktische Varianten

IX Terrain

XI Die neun Situationen

XII Angriff durch Feuer

XIII Der Einsatz von Spionen

(Sunzi, Die Kunst des Krieges, Droemer 1999)

 

Das Buch, in welcher Ausgabe auch immer, ist seit vielen Jahren (Pflicht)Lektüre für Militärs (natürlich) und auch für Manager:innen, Führungskräfte und andere, die sich mit Zusammenarbeit, Leadership und Organisationsentwicklung beschäftigen. 

 

In Kapitel III heißt es

 

In all deinen Schlachten zu kämpfen und zu siegen ist nicht nicht die größte Leistung. Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. In der praktischen Kriegskunst ist es das Beste überhaupt, das Land des Feindes hell und intakt einzunehmen; es zu zerschmettern und zu zerstören ist nicht so gut.

(Sunzi 1999: S. 35)

 

und später

 

Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.

(Sunzi 1999: S. 39)

 

Probieren Sie die Sätze aus, indem Sie Feind durch Gegner oder Wettbewerber, Krieg durch Konflikt oder Wettbewerb und Schlacht durch Auseinandersetzung ersetzen. Und da James Clavell auf Seite 9 geschäftliche Konflikte, Schlachten im Aufsichtsrat, den alltäglichen Kampf um das Überleben und den Kampf der Geschlechter erwähnt - Stichwort: Rosenkrieg - lässt sich Feind ja vielleicht auch sogar mit Partner ersetzen. 

 

Jedenfalls schreibt Sunzi auch über Leadership (General) und Organisationsentwicklung (Heer). Einige Aspekte möchte ich hier näher aus der Perspektive der Wertschätzenden Erkundung betrachten (Weßel 2017 I).

 

Fünf Faktoren

bestimmen die Kunst des Kriegen (S. 21 f).

 

o Moral: im Sinne von Commitment (siehe oben bei Sennett)

o Himmel: Klima, Tages- und Jahreszeit

o Erde: Entfernungen, Gelände, Gefahr und Sicherheit, Unwägbarkeiten von Leben und Tod

o Befehlshaber: Leadership. Weise, aufrichtig, wohlwollend, mutig, streng (auch und zuallererst zu sich selbst)

o Methode und Disziplin: Aufbau und Abläufe (insbesondere Ressourcen) der Organisation, Ausgaben (Investitionen)

 

Leadership

Sunzi beschreibt fünf gefährliche Fehler, die jede Führungskraft begehen kann (S. 82-84)

 

Unbekümmertheit führt zu Vernichtung. Feigheit führt zu Gefangennahme. Empfindliches Ehrgefühl führt zu Scham. Ungezügeltes Temperament führt zu Provokation durch Beleidigung. Übergroße Sorge um das Wohl der Männer führt zu Anfälligkeit für Kummer und Schwierigkeiten: "denn am Ende leiden die Truppen mehr unter der Niederlage oder bestenfalls der Verlängerung des Krieges, welches die Folge sein werden." (Sunzi 1999, S. 83)

 

Mit Wertschätzender Erkundung auf der Suche nach Ressourcen lässt es sich positiv ausdrücken:

 

o Umsicht

o Mut

o Ehrgefühl (honour bei Sennett)

o Harmonie (Wa in der japanischen Kultur)

o Empathie (eine gute Distanz und Einfühlungsvermögen)

 

Gelingen

Sunzi beschreibt sechs Möglichkeiten, eine Niederlage herauszufordern (S. 107-108)

 

das Versäumnis, die Stärke des Feindes einzuschätzen; das Fehlen von Autorität; unzureichende Ausbildung; ungerechtfertigter Zorn; Nichtbeachtung der Disziplin; das Versäumnis, ausgewählte Männer einzusetzen.

(Sunzi 1999, S. 107-108)

 

Aus der Perspektive der Wertschätzenden Erkundung lässt sch sagen: 

 

o den Feind / Gegner / Mitbewerber / Partner kennen (und sich selbst, s.o.)

o Autorität (Sennett erzählt in "Together" hervorragend von earned authority)

o Ausbildung (das eigene lebenslange Lernen und das der Mitarbeitenden)

o Disziplin (zuerst und vor allem auch die eigene)

o Personalauswahl (am besten im Team, s. Buch Menschen)

 

 

Es gibt noch viel mehr in diesem Buch und natürlich auch in Sennett's "Together". Immer wieder lesenswert und inspirierend. Auch die Idee tosaam.de diesen Namen zu geben und die Blogrubrik entstanden in Gesprächen über Kooperation und wie wir damit umgehen können.

 

Viel Vergnügen, Neues und Vertrautes und viel Inspiration wünsche ich Ihnen mit diesen Büchern, in Gesprächen mit anderen darüber und in der praktischen Umsetzung.

 

Christa Weßel - Mittwoch, 18 Mai 2022

 

Lesestoff

Die Ausgaben, auf die ich mich hier beziehe

  • Sennett R. Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation. New Haven and London, Yale University Press 2012.
  • Sunzi. Die Kunst des Krieges. München, Droemer 1999. (Original: Sun Tsu. The Art of War. Editor, Foreword: James Clavell.  New York City, Delacorte Press 1983.)

außerdem

  • Beschreibungen des Buches "Art of War" / "Die Kunst des Krieges" und der hier erwähnten Autor:innen sind derzeit lesenswert in der englischen Variante von Wikipedia.
  • Weßel 2017 I. Beraten (zum Thema Wertschätzende Erkundung)
  • Weßel 2017 II. Menschen (zum Thema Leadership). 

Blogrubriken: reviews (Buchbesprechungen) und together und organization development

 

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