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Professor sein ist nicht schwer ...

Das Berufungsverfahren

Willst du Professorin werden? fragen mich immer mal wieder Kollegen und Studierende. Ja, wenn es passt, gern. Es muss sich eher nebenher entwickeln. Alles andere ist bei Berufungsverfahren von ein bis zwei Jahren Dauer nicht sinnvoll. Warum dauern Berufungsverfahren an deutschen Hochschulen so lange?

 

Hochschulen sind die ehemaligen Fachhochschulen, einige nennen sich weiterhin so. Außerdem gibt es Duale Hochschulen, die in Kopperation mit Praxisbetrieben, sogenannten Dualen Partnern den Studierenden eine Ausbildung und ein Studium parallel anbieten.

 

Ein Jahr im Berufungsverfahren ist Standard, es können auch mal zwei werden. Wie das?

 

Die Berufungskommission

In Deutschland sind Freiheit von Forschung und Lehre in der Verfassung verankert. Daraus leitet sich letztlich ab, dass Professoren von "Kollegen+" ausgewählt werden. Ein Professor oder auch eine Professorin leitet die Kommission. Zwei bis drei weitere Professoren gehören außerdem zur Kommission. Dann gibt es Vertreter der Studierenden, der Gleichstellungbeauftragten, der Schwerbehinderbeauftragten, der Personalabteilung und manchmal auch der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Letztere gibt es an Hochschulen eher selten.

 

Das Risiko des Verfahrensfehlers

Hier liegt ein erster Grund für die extreme Dauer. Wenn im Verfahren Formfehler auftreten, wird die Berufung nichtig. Dazu kann gehören: Schwerbehindertenvertreter wurden nicht hinzugezogen, oder die Tätigkeit eines Kandidaten außerhalb von Universitäten und Hochschulen ist nicht lang genug. Auch wenn dieser erst auf Platz drei der Hitliste, der Berufungsliste ist, kippt dies das Verfahren.


Es gibt sicher noch einige mehr.

 

Die Schritte

o Eine Stelle wird vakant und sogar finanziert. Dazu muss nicht nur die Hochschule sondern oftmals auch das Kultusministerium und in einigen Bundesländern auch das Finanzministerium Entscheidungen treffen.

o Die Hochschule gründet eine Berufungskommission und schreibt die Professur aus.
o Kandidaten bewerben sich.
o Die Personalabteilung prüft, ob die Kandidaten die Voraussetzungen für eine Professur erfüllen. Dazu gehören unter anderem eine Promotion, Lehrerfahrung und fünf Jahre Berufserfahrung außerhalb einer Universität oder Hochschule. Damit soll der Praxisbezug gestärkt werden.
o Die Berufungskommission stellt eine Liste von Kandidaten zusammen, die sich an der Hochschule vorstellen sollen.
o Der Tag an der Hochschule, dazu gleich mehr. Bis zu diesem Tag sind seit dem Entschluss zur Ausschreibung vier bis sechs Monate vergangen.
o Die Berufungskommission wählt in mehr oder weniger langwierigen Sitzungen aus, wen sie in welcher Reihenfolge auf die Berufungsliste setzt. Bis zu diesem Zeitpunkt vergehen ungefähr weitere ein bis zwei Monate.
o Viele Hochschulen holen an dieser Stelle noch Gutachten zur Eignung von externen Professoren zu den Kandidaten ein. Noch einmal ein paar Monate.
o Das Präsidium der Hochschule gibt dann sein Einverständnis und leitet die Liste an das Kultusministerium weiter. 
o Das Ministerium entscheidet, wen es von der Liste berufen will. Dies muss nicht Kandidat (1) sein, ist es aber in der Regel. Das Ministerium leitet a) die Liste an ein weiteres Ministerium weiter, beispielsweise das Finanzministerium oder b) kann direkt den ausgewählten Kandidaten anschreiben, und ihr oder ihm die Berufung zu Professur anbieten. Noch einmal drei bis ... Monate.
o Und nun wird dieser Kandidat Herrin oder Herr des Verfahrens: sie oder er akzeptiert, und kann dann bestimmen, zu wann die Professur starten kann. Bis sie oder er im Hörsaal auftaucht, vergehen weitere Monate.

 

Es ist gar nicht so selten, dass der Kandidat ablehnt. Sie oder er macht mittlerweile etwas anderes. A) weniger schlimm: das Ministerium bietet Kandidat 2 die Professur an. B) schlimm: das Ministerium bittet die Hochschule um eine erneute Stellungnahme. Nicht auszuschließen ist, dass sogar ein neues Berufungsverfahren anläuft. Dann sprechen wir von deutlich mehr als einem Jahr und auch von mehr als zwei Jahren.

 

Der Tag an der Hochschule

Die Lehrveranstaltung findet mit Studierenden des Studiengangs statt, für den die Professur vorgesehen ist, oder - wenn der Studiengang noch in Gründung ist - in einem verwandten Studiengang. In der Regel besteht das Ganze dann aus drei bis vier Teilen:


o Probelehrveranstaltung von circa 45 Minuten Dauer zu einem vorgegebenen Thema. Zumeist halten die Kandidaten einen Vortrag und - wenn sie gut sind - schaffen sie es, mit den Studierenden in einen Dialogzu treten. Es wird also ein Lernen nach Sokrates'schem Vorbild.
o Vorstellung der eigenen Praxis-, Lehr-, und Forschungsschwerpunkte entweder in einem kurzen Vortrag oder im Rahmen des Gesprächs mit der Berufungskommission.
o Vorlage eines didaktischen Konzepts zu Entwicklung und Weiterentwicklung eines bestimmten Studiengangs. Dies erfolgt entweder schriftlich oder ebenfalls als Vortrag oder mündlich im Gespräch mit der Berufungskommission.
o Gespräch mit der Berufungskommission.

 

Danach

Warten. Einige Hochschulen teilen den Kandidaten mit, wo sie auf der Berufungsliste stehen. Meist melden sich die Hochschulen bei den nicht ausgewählten Bewerbern gar nicht. Diese erhalten dann nach Abschluss des Verfahrens, also wenn die berufene Professorin oder der Professor ihre Arbeit aufnehmen, ihre Unterlagen und die Absage. Nach eineinhalb, zwei oder - auch schon gehört - drei Jahren.

 

"Warum nimmst du teil?"

Vor zwei Tagen war es mal wieder so weit, ich erlebte den Kerntag eines Berufungsverfahrens. Es ging um die Akademisierung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe und Karriere. Eines meiner derzeitigen Lieblingsthemen.

 

Ich nehme aus mehreren Gründen an solchen Verfahren teil: ich lehre und forsche sehr gerne. Forschen funktioniert vor allem im Kontext Universität, Hochschule oder Institute und in einigen Unternehmen. Als freiberufliche Autorin, Dozentin und Coach kann ich nur mit Investitionen in die eigene Freizeit, Reisekasse und Bibliothek forschen. Also liegt eine Professur nahe.

 

Ich lerne in diesen Verfahren sehr viel. Die Themen sind vielfältig. Ich würde sie mir nicht unbedingt selbst aussuchen. Für die Vorträge muss ich so fit sein, dass ich sie Studierenden erklären und mich mit ihnen und Kollegen in einen fundierten Austausch begeben kann. Das ist Weiterbildung vom Feinsten.

 

Ein dritter Grund ist: Lebenslanges und Organisationales Lernen ist einer meiner Arbeitsschwerpunkte. Jede Hochschule ist anders. Als Organisationsentwicklerin und Coach sind Organisationsanalysen für mich tägliches Brot. Ich habe also die Möglichkeit, verschiedene und immer wieder interessante Organisationen kennen zu lernen, deren Kerngeschäft das Lernen und Lehren ist. Es ist spannend zu sehen, welche Kulturen es in Hochschulen dazu gibt.

 

Meine Vorbereitungen und der Austausch mit den Studierenden und Kollegen fließen außerdem in diesen Blog und in meine Bücher ein. Damit steht dieses Material noch einigen Menschen mehr als den dreißig bis vierzig Zuhörern zur Verfügung.

 

Und die langen Verfahren machen eines sicher: Hochschulen werden immer auch externen Dozenten Lehraufträge geben. Das Honorar ist eher ein Witz. Die Unterrichtsstunde wird mit dreißig bis vierzig Euro vergütet, manchmal mehr. Reisekosten werden erstattet.

 

Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen, zu der auch die Pflege von eLearning-Plattformen gehört, und die  Betreuung von Seminar-, Bachelor- und Masterarbeiten ergeben einen Stundensatz von ungefähr acht Euro. Noch nicht enthalten ist die Reisezeit. Nur zum Vergleich: ich coache auch Führungskräfte großer Unternehmen. Sie können ja mal Honorarunterschiede schätzen. 

 

Das Lehren an Hochschulen ist also einfach etwas weitergeben. Der Segler Bernard Moitessier nannte es "passing forward". In meiner eigenen Karriere, sei es in meiner Promotion, in meinem Public Health Studium oder in Unternehmen und an Universitäten haben mir viele Menschen etwas weiter gegeben.

 

Christa Weßel - Mi, 20. November 2013

 

Blogrubrik Lernen & Lehren

 

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