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Prävention muss schick werden

... oder anders ausgedrückt: sexy. Wir brauchen neue Geschichten. 

Geschichten

Geschichten sind die älteste Methode der Dokumentation, Überlieferung und des Lernens. Menschen entwickeln mit und durch Geschichten ihre persönliche Identität, ihr Selbstverständnis und das ihrer Familie und ihres "Stammes". Heute ist ein Stamm nicht mehr die Mehr-Familien-Gruppe, die in der Steppe oder in Höhlen gemeinsam ihr Leben lebt, sichert und Kulturen entwickelt. Heute sind Stämme in den Kulturen Europas und anderer Gegenwartskulturen Gruppenzugehörigkeiten. Dies reicht von der Kita über Schulen, Unternehmen und andere Organisationen bis hin zu Senioreneinrichtungen. Menschen bewegen sich in mehreren Gruppen. Und all diese Gruppen haben und entwickeln Geschichten.

 

Helden

Für das Überleben als Stamm vor mehreren tausend Jahren und in einigen Gegenden der Erde noch heute (sie verschwinden, beispielsweise im Amazonas-Gebiet) sind Heldensagen von besonderer Bedeutung. Beispielsweise, um zu lernen, mit welchen Herausforderungen und Herangehensweisen eine Gruppe ihr Überleben sichern kann.

 

Nur, das passt nicht mehr in eine Zeit, in der es ungefähr acht Milliarden Menschen auf der Erde gibt und die rücksichtlose Ausbeutung des Planeten zur Vernichtung der Natur und somit zu unserer eigenen Vernichtung führt. 

 

Der Haken ist: wie möchten Sie eine mitreißende, dramatische und unterhaltende Geschichte erzählen, in der der Plot darin besteht, etwas _nicht_ zu tun, oder gar Werte und Verhaltensweisen zu hinterfragen und sich anders zu verhalten? 

 

Großes Finale

Die Schwierigkeit liegt darin, das es keinen Show down, kein dramatisches Finale gibt. Veränderung durch den respektvollen Umgang mit der Natur braucht Zeit, Jahre und Jahrzehnte, bis es spürbar wird. Durch Lebensweisen wie reduce reuse recycle, also weniger verwenden, etwas wieder verwenden und, wenn das nicht geht, es wieder verwendbar machen (blog 16 Mar 2019). 

 

Doch, auch so etwas lässt sich als Abenteuer erzählen. Als Geschichte Kindern und Erwachsenen am Abend erzählt, in Büchern, im Theater, in der Oper und in Filmen. Meine Favoriten solcher Geschichten, die es schaffen, sowohl einen Show Down zu enthalten als auch ein offenes Ende mit Ausblick darauf, wie es werden könnte, sind

  • Snow Cake (Evans 2006): Souveränität
  • Wall-e (Stanton 2008): Leben 4.0 und Natur
  • Die Bücherdiebin (Percival 2013): Teilen
  • Avatar (Cameron 2009): Buen Vivir

Diese Filme kommen auch im Buch Sozioinformatik vor. Die Themen, zu denen ich sie einordne, sind Überschriften einiger Kapitel. Im Buch geht es um Menschen und Computer und, als Stellvertreter der Natur, um Biber. 

 

Sie kennen und finden sicher noch etliche weitere Beispiele. Die Herausforderung ist: es gibt mehr dramatische Heldensagen mit Krieg und Zerstörung als Geschichten, in denen es um Würde, Teilen und eine respektvolle Haltung und Verhalten in der Natur geht. Avatar ist ein Beispiel, in dem es beides gibt. Um Krieg und um Buen Vivir, das "gute Leben" (blog 16 Mar 2016).

 

"In der Natur", weil wir Menschen Teil der Natur sind ... allerdings seit ungefähr zweihundert Jahren zunehmend wie ein Schimmelpilz auf der Frucht Erde. Und wenn ein Pilz die Frucht zerstört hat und nicht auf eine andere übergehen kann (wie in Interstellar, Nolan 2014) stirbt auch der Pilz. Also wir. Und damit ist zu rechnen, solange wir in den derzeit vorherrschenden Konsumkulturen, in den vorherrschenden Macht- und Kriegskulturen verbleiben.

 

Kurzzeitgedächtnis und Denken

Wieso sollte ein Mensch sich Gedanken über die Erde nach seinem Tod machen? Für Kinder und Kindeskinder. Ach, die schaffen das schon. Und wenn nicht? Ist halt so. Egoismus pur. Mensch will Spaß und zwar jetzt und maximal. 

 

Ich verstehe nicht, warum es bei so vielen Menschen nicht in die Köpfe und Herzen geht. Warum Menschen nicht kapieren, dass eine Lebensweise "weniger ist mehr", "selbst machen ist reicher", "langsamer ist schöner" klasse ist. Warum Menschen nicht kapieren, dass Abstand, Hygiene und Masken und Lüften in einer Pandemie - und auch sonst - sinnvoll sind. Eine Pandemie endet nicht durch politische Beschlüsse. COVID-19 läuft weiter. Eigenverantwortung? Ja, einige verhalten sich entsprechend, so zumindest meine Beobachtung im privaten und öffentlichen Raum. In Geschäften, im Kino, im Theater, in Zug und Bus und auf der Straße. Andere: Fehlanzeige.

 

Alte Geschichten

Im Verlauf der vergangenen vierzig Jahre wurde es in Mitteleuropa schick, Fahrrad zu fahren, ökologisch-biologische Lebensmittel zu verwenden, Müll zu trennen. (A) für den Bevölkerungskreis, der es sich leisten kann, und (b) für die Menschen, die vom Sinn wissen und davon überzeugt sind, und (c) für die Menschen, die nicht so viel Spielzeug brauchen.

 

Spielzeug, zum Beispiel: zwei Autos pro Familie (mindestens), häufige Kurztrips mit dem Flugzeug, alle zwei Jahre ein neues Smartphone (spätestens) und shoppen, shoppen, shoppen.

 

Das ist der eine Teil. Der andere Teil sind die Geschichten aus dem größeren Kreis, dem "System". Dazu zählen "wir brauchen die Automobilindustrie", "wir können den öffentlichen Nahverkehr nicht gratis machen", "Windräder sind gesundheitsschädlich". So ein Quark. Reduce reuse recycle lohnt sich auch ökonomisch (blog 16 Mar 2019). 

 

Neue Geschichten

In Geschichten sind Werte und Verhaltensregeln eines "Stammes" (siehe oben) verankert. Lassen Sie uns also neue Geschichten erzählen. Oder, wenn Sie gerne diesen Begriff verwenden, neue Narrative entwickeln - als Sprüche, als Geschichten in Geschichten - und neue Werte und Verhaltensweisen transportieren.

 

Früher war es "vom Tellerwäscher zum Millionär" oder "der Wettlauf zum Mond" oder "die Wirtschaft muss wachsen". Wie wäre es heute mit 

  • "Prävention ist sexy" : das Geheimnis hinter der Maske ;o)
  • "Fahrradfahren als persönliches Fitness-Studio" : jederzeit und wann und wo ich will 
  • "Öffentlicher Nahverkehr ist _natürlich_ gratis" : im Sinne von selbstverständlich _und_ im Interesse der Natur
  • "Auto? Wer braucht denn heute noch ein eigenes Auto mit Verbrennungsmotor, wenn sie oder er in einer Stadt lebt?" : natürlich mit persönlichem Fahrrad-Fitness-Studio und Gratis-ÖNV ;o)
  • "e-Bike oder e-Roller? Was soll das denn? Ich habe Muskeln." : klar, es gibt Menschen, für die sind e-Bikes sinnvoll, bspw. körperliche Einschränkungen oder hohes Alter, oder steile Transportwege für den Einkauf

Zu meinen Lieblingsgeschichten gehören die von zwei Inseln in Dänemark. Ærø, auf der nicht nur die Schulkinder sondern alle Menschen die Busse gratis benutzen können. Auch die Touristen. Die Ærø-er haben nachgerechnet: es ist teuer, Tickets zu drucken, zu verkaufen, zu buchen, ... Die Touristen bringen der Gemeinde durch ihre Besuche mehr Geld als Ærø jemals durch Bustickets verdienen kann (Quelle: Gespräche mit Ærø-ern 2012). Ich weiß nicht, ob es noch so ist, traue den es den Dänen jedoch zu. Denn es gibt die Insel Samsø. Ökologisch, volle Bürgerbeteiligung und energieunabhängig (Windkraft, Solar, Biogas). 

 

Diese beiden Geschichten zeigen, dass wir auf mindestens drei Ebenen aktiv sein müssen: in unserem persönlichen Verhalten, im Sprechen darüber mit anderen und auf poltisch-gesellschaftlicher Ebene. Wir haben doch ein föderalistisches System. Dann können wir auch in einer Gemeinde oder Stadt den ÖVN gratis machen, wie in Ærø ... 

 

Und wovon erzählt Ihre "neue Geschichte"?

 

Christa Weßel - Mittwoch, 20 Apr 2022

 

Blogrubriken together (weil wir einander Geschichten erzählen) und schreiben & publizieren (weil Schreiben Erzählen ist)

 

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