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Der Student kennt die Lösung

Lernen und Lehren jenseits von 90-Minuten-Slots

Und - natürlich - die Studentin. Angelehnt ist die Überschrift an "Der Klient kennt die Lösung" und dem Action Research nach Kurt Lewin. Lernen funktioniert am besten, wenn Menschen alle Sinne verwenden können und - vor allem - wenn sie ein Thema interessiert. Wie dies funktioniert, lässt sich hervorragend an (kleinen) Kindern beobachten. Sie zeigen Interesse und Engagement. Sie lernen eigenständig.

Wie können Lehrende und Hochschulen Studierenden diese Art des Lernens ermöglichen?

Nach dreizehn Jahren mit häufigem Frontalunterricht. Nach der Erfahrung mit mehr oder weniger interessanten 90-Minuten-Vorlesungen, -Seminaren und -Übungen.


Die Arbeit an konkreten Aufgaben und - am besten - an einem eigenen konkreten Fall oder Projekt fördern das Lernen. Das Stichwort dazu lautet kompetenzorientiertes Lernen.


Das Lernen im Rahmen realistischer Szenarien fußt auf der Theorie des kognitiven Lernens: Das Lernen durch Einsicht und am Modell befähigt die Lernenden, sich eigenständig ein Thema zu erschließen, wissenschaftliche Methoden anzuwenden und Lösungen zu entwickeln. Dies führt zu einer besseren Motivation von Lernenden und zeigt im Vergleich zu herkömmlichen Methoden bessere Ergebnisse in kurz-, mittel- und langfristigen Lernergebnissen. Die Lehrenden sehen sich dabei als "facilitator, mentor, guide" (Weßel / Spreckelsen 2009).

Lernen braucht Zeit

Neunzig Minuten: Die Studierenden an ein Thema heran führen. Sie entwickeln in Kleingruppen zu einer Aufgabe Poster und stellen die Ergebnisse im Forum vor. Die Aufgabe lautet zum Beispiel: "Was sind Datenschutz und Datensicherheit? Wie stellen Sie diese sicher? Und welche Verknüpfungen sehen Sie?" Und dann tritt die Gruppe dazu in einen Dialog. Damit sind neunzig Minuten fast herum. Denn außerdem starten und beenden Studierende und Lehrende die Lernveranstaltung (<n> ist kein Schreibfehler).

Lernen ist ein gruppendynamisches Geschehen

Forming, storming, norming, performing and adjourning. Kennenlernen, kämpfen, Regeln finden, umsetzen, loslassen. Diese fünf Phasen der Gruppendynamik nach Tuckman & Jensen finden in Gruppen immer statt. Im Lernkontext eines Seminars erstreckt sich dies über das gesamte Semester plus in jeder Lernveranstaltung. Und - um das Ganze noch zu steigern - wenn ein Mensch eine Gruppe verlässt oder neu hinzukommt, geht das Ganze mit forming, storming ... von vorne los.


Sich als "facilitator, mentor, guide" zu sehen bedeutet für Lehrende auch, dass sie Moderator sind. Es ist ihre Aufgabe, den Beteiligten das effektive und effiziente Lernen zu ermöglichen. Also sollten die Lehrenden die Phasen der Gruppendynamik kennen und Methoden beherrschen, mit denen sie diese Phasen steuern und in einem angemessenen inhaltlichen und zeitlichen Rahmen halten können. Im Band 2 "Menschen" und Band 3 "Werkzeuge" der Reihe "Elche fangen ... " beschreibe ich, wie Sie vorgehen können - und die theoretischen Hintergründe dazu.

Lernen braucht Raum

... und Material. Haben Sie sich in letzter Zeit einmal an Hochschulen umgesehen? Tische in Reihen. Oft lassen sich diese Tische umstellen, aber nicht immer einzeln. Mit großem Bedauern musste ich erleben, wie an einer der Hochschulen, an denen ich lehre, die Tische in den Reihen fest miteinander verbunden wurden. Begründung: Die Studierenden brauchen Steckdosen für ihre Rechner (Notebooks et cetera). Was ist mit Akkus? Laden in Arbeitspausen? Nicht möglich? Doch.


Also müssen Tische einzeln umstellbar und Räume so groß sein, dass Sie ein Lernsetting für die Arbeit in Gruppen schaffen können. Sie brauchen - am besten - viel Tafelfläche, damit die Studierenden und auch die Lehrenden ausreichend Raum für Visualisierungen haben. Das ist umweltverträglicher als das Abholzen von Wäldern durch die Verwendung von Flipcharts. Außerdem schonen Sie den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre. Die Verwendung von Filzstiften und Boardmarkern entfällt. Auf Whiteboards kommen Sie übrigens auch nicht weit. Details gehen auf Fotos schnell verloren. Die Fotos sind Teil der Workshopdokumentation, die die Lehrenden den Studierenden auf der e-Learning-Plattform zur Verfügung stellen.

Let's work and have fun: Workshops

An Hochschulen und Universitäten finden Lernveranstaltungen vormittags, meist von acht oder neun Uhr bis mittags statt und dann wieder von vierzehn Uhr bis in den Abend, zum Beispiel bis 18:45.


Was spricht eigentlich dagegen, statt drei oder vier Vorlesungen, Seminaren oder Übungen einen ganzen Vor- und / oder Nachmittag "nur" Software Engineering, Consulting, Change Management, wissenschaftliches Arbeiten oder Sozioinformatik (Informatik und Gesellschaft) zu machen? Richtig: nichts.


Es braucht dazu natürlich die Aufgeschlossenheit der Lehrenden und der Hochschule oder Universität, dies so zu organisieren. An der RWTH Aachen, der Beuth Hochschule für Technik in Berlin, der Hochschule Fulda und - derzeit - an der DHBW Mannheim und der Hochschule Furtwangen besteht diese Aufgeschlossenheit. Dort konnte und können die Studierenden und ich im Workshopformat arbeiten. Ausführlich beschrieben habe ich dies in der Blogrubrik Sozioinformatik für die Workshops im Sommersemester 2017.


Lehrende können sich außerdem die Werte und Prinzipien agiler Methoden zu Nutze machen. Zum Beispiel lassen sich die Einstimmung auf einen Workshoptag und die Verabschiedung sehr gut als Stand-up durchführen. Dies ist angelehnt an den daily stand up in Scrum. Ich nenne dies Check-in / Check-out. Mehr dazu in den "Elchen ..." und im Artikel über das Agile Lernen und Lehren.

Und los

Workshops und Bockseminare gibt es schon lange an Hochschulen und Universitäten. Doch noch sind sie eher in der Minderzahl. Das Interesse an Lernformaten jenseits der 90-Minuten-Barriere wächst, zum Beispiel in Studiengängen der Informatik. Die Lehrenden kennen Agile Methoden und wollen diese auch den Studierenden nahebringen. Darum freue ich mich, dass Lehrende und Studierende darüber mehr erfahren wollen. In Gremien- und Arbeitsgruppensitzungen ist zum Beispiel Zeit und Raum für Impulsvorträge und den Dialog über das Lernen jenseits der 90-Minuten-Slots.


Gerne.


Christa Weßel - Donnerstag, 16. November 2017


Quellen

 

  • Weßel C. Agil lernen und lehren: All | Erfahrungsbericht und Reflexion. In: Arnold R, Lermen M, Haberer M (Hg). Selbstlernangebote und Studienunterstützung. Band III zur Fachtagung "Selbstgesteuert, kompetenzorientiert und offen?!" Baltmannsweiler, Schäfer Verlag Hohengehren 2017: 233-235 (Kurzartikel und Poster). - Full Paper PDF (aus dem Jahr 2015, Poster und Kurzartikel erschienen 2017 im Tagungsband) [Blog vom 17.02.2015]
  • Weßel C,  Wolff F.  Wie kann eine Hochschule Lehrende im Blended Learning unterstützen? Eine explorative Studie im Studiengang Wirtschaftsinformatik. In: Beverungen J (Hg). Studium Duale. Journal der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim zu Dualer Lehre und Kooperativer Forschung. Band 17. Mannheim. DHBW Mannheim 2012: 169-172. - PDF 
  • Weßel C, Spreckelsen C. Continued Multidisciplinary Project-Based Learning – Implementation in Health Informatics. Methods Inf Med. 2009; 48 (6): 558-563. - http://methods.schattauer.de/en/contents/archivestandard/issue/1003/manuscript/11533.html


Weitere Literatur zu Didaktik [Lernen+Lehren/all...], Action Research [Methoden] und Gruppendynamik [Gruppe+Team] - von Autoren wie Slawin, Lewin und Tuckmann / Jensen finden Sie in den Ressourcen

 

Lernveranstaltungen finden Sie auf Veränderung Gestalten Lernen ...

 

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