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Überleben

"Ich habe Glück gehabt"

Dies sagt George Goldsmith, née Günther Goldschmidt (1913-2009), im Film "Winterreise". Dieser Film [1] war gestern, am Sonntag, 07 November, um 11 Uhr 30 im Staatstheater Oldenburg im Rahmen des Erinnerungsgangs 2021 [2] zu sehen. Zwei weitere Termine sind Montag, 15, und Dienstag, 16 November, jeweils um 10 Uhr 30. An diesen beiden Tagen gibt es anschließend ein Publikumsgespräch mit Martin Goldsmith, dem Sohn von Günther Goldschmidt. 

Winterreise

Oldenburg, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Berlin und Tuscon, Arizona.

 

Im Staatstheater Oldenburg sieht der 14-jährige Günther Goldschmidt Mozarts Zauberflöte und beschließt, Musiker zu werden: Flöte. Studium in Karlsruhe. Rauswurf aus der Musikakademie 1935: "Juden sind hier nicht erwünscht." Tiefes Bedauern seines Professors, der es ihm persönlich mitteilt. Die Wohnung in Stockholm ist gefunden. Die Koffer nahezu gepackt. 

 

Der Anruf aus Frankfurt am Main. Das Angebot, in einem Orchester zu spielen. Kurzfristig, der Flötist sei erkrankt. George zu seinem Sohn ungefähr sechzig Jahre später: "Das ist das, was Musiker wollen. In einem Orchester spielen. Im Konzert auftreten." 

 

Dies allein hätte den jungen Günther vielleicht schon bewogen, in Deutschland zu bleiben. Ganz bestimmt hat die Begegnung in diesem Frankfurter Orchester mit Rosemarie (1917-1984), Viola, den Ausschlag gegeben. So erzählt es George später seinem Sohn. 

 

Auf die Frage des Sohnes "Du musst doch gesehen haben, was da passiert?!" antwortet der Vater: "Wir waren jung. Wir wollten musizieren." - "Und du warst verliebt." - "Ja. Und ich hatte Glück, sehr viel Glück."

 

[Diese Dialoge gebe ich aus dem Gedächtnis wieder. Gestern habe ich den Film zum ersten Mal gesehen. Bitte sehen Sie es mir nach, wenn die Zitate nicht ganz zutreffen.] 

 

Glück, zu leben und zu überleben. Wie Günter und Rosemarie überlebt haben, erzählt der Film auf faszinierende Weise. Ein dokumentarischer Essay mit einer hervorragenden Mischung aus nachgestellten Gesprächsszenen, persönlich und am Telefon, zwischen Sohn und Vater in den 1990er Jahren, nachgestellten Szenen aus dem Leben des Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Günther Goldschmidt. Und Dokumentarmaterial: Fotos, Filme und Dokumente. 

 

Der Sohn, Martin Goldsmith (geb. 1952), begann als Erwachsener nachzufragen: "Was ist denn nun mit unserer Familie im Krieg geschehen?" Er wusste, dass seine Eltern aus Nazi-Deutschland geflohen und zahlreiche Familienmitglieder im Krieg gestorben waren. Der Vater, gespielt von Bruno Ganz (1941-2019) in seiner letzten Rolle, hatte auf die Fragen der jungen Goldsmith-Söhne nur geantwortet: "They all died during the war." 

 

Der Sohn [3] hat Bücher über seine Nachforschungen und die Gespräche mit seinem Vater [4 & 5] und über das Schicksal der SS St Louis [6] geschrieben. Er ist im Film er selbst, in den Gesprächen mit seinem Vater und als Sprecher. 

 

Dramaturgisch und technisch ist dieser Film eine Meisterleistung. Spezialeffekte behutsam eingesetzt. Das Wort "Scherenschnitt" kommt mir bei einigen Szenen in den Sinn. 

 

Als der Film zu Ende ist, ist es ganz still im Staatstheater Oldenburg. Anders als sonst nach Kino-, Theater-, Oper- oder Konzert-Aufführungen. Nach einer Weile stehen die Menschen auf und verlassen den Ort, an dem der junge Günther Goldschmidt zum ersten Mal Mozart's Zauberflöte erlebt hat. 

 

Christa Weßel - Montag, 08 November 2021

 

Weiterführendes ...

[1] Østergaard A. Winterreise. Dk, D 2019. 

[2] Arbeitskreis Erinnerungsgang. - https://www.erinnerungsgang.de/

[3] Wikipedia contributors, 'Martin Goldsmith (radio host)', Wikipedia, The Free Encyclopedia, 15 October 2021, 04:28 UTC, <https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Martin_Goldsmith_(radio_host)&oldid=1049995923> [accessed 8 November 2021] - https://en.wikipedia.org/wiki/Martin_Goldsmith_(radio_host) 

[4] Goldsmith M. The Inextinguishable Symphony. A True Story of Music and Love in Nazi Germany. Wiley 2000 [abstract: https://www.google.de/books/edition/The_Inextinguishable_Symphony/ovsXAQAAIAAJ?hl=de&gbpv=0&bsq=inauthor:%22Martin%20Goldsmith%22 accessed on 08 Nov 2021] 

[5] Goldsmith M.  Die unauslöschliche Symphonie: Musik und Liebe im Schatten des Dritten Reiches - eine deutsch-jüdische Geschichte. Übersetzerin: D Brinkmann. Herder 2002.

[6] Goldsmith M.  Alex's Wake. The Tragic Voyage of the St. Louis to Flee Nazi Germany-and a Grandson’s Journey of Love and Remembrance. Da Capo Press 2014 [abstract: https://www.google.de/books/edition/Alex_s_Wake/EnJKDgAAQBAJ?hl=de&gbpv=0 accessed on 08 Nov 2021] 

 

(Websites abgerufen am 08 Nov 2021)