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Mobbing

Christa Weßel (2009) Sturmhimmel

 

Kürzlich ging es in meiner Arbeit um Mobbing. Ich arbeite als Ärztin in einer Klinik, als Lehrende an einer Hochschule, als Beraterin und Buisness-Coach und ich schreibe. Frage des Betroffenen: Und nun?


Zuerst einmal gilt es herauszufinden, was vorliegt. Ist es Mobbing? Etwas anderes? Eine Mischung?

 

Was ist Mobbing?

Psychical terror or mobbing in working life means hostile and unethical communication which is directed in a systematic way by one or a number of persons mainly toward one individual.
(Leymann 1990, p 120)

Auf den Verdacht, es könnte Mobbing sein, folgen die klassischen Schritte einer Exploration (Begriff aus der Forschung), einer Diagnostik (Begriff aus der Medizin), einer Analyse (Begriff aus Beratung und Coaching), vgl. auch Buch Entdecken (Abb. 1.1)

  • Beobachten, Hören
  • Beschreiben
  •  Auswerten
  •  Bewerten, Reflektieren
  •  Schlüsse ziehen, Eingrenzen, Diagnose, Resultat
  •  Schritte zur (Ver)Besserung skizzieren und unternehmen

Zur Beschreibung gehören das Setting (Kontext, Organisation, Abteilung, Team), die Akteure (Stakeholder-Analyse) und  die Chronologie der Ereignisse. Im Sinne der 8+1 W gefragt: Wo findet es statt, wer ist beteiligt, was ist passiert und passiert weiterhin? (Buch Beraten)

Im Mobbing ist es meist so, dass der Betroffene(*) erst nach einigen Wochen, manchmal auch Monaten erkennt, was da mit ihm passiert.

2008/2009 hatte ich die Ehre und das Vergnügen, Medizinstudierende im Fach Arbeitsmedizin zum Thema Mobbing zu unterrichten. Ich war damals wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Buch Entdecken, Walk and Talk XXL).

Die Studierenden staunten ein wenig, wenn ich zu Beginn sagte: "Wenn Sie Mobbing verhindern oder beheben wollen, müssen Sie erst einmal wissen, wie Mobbing geht." Also verging die erste Hälfte des vierstündigen Seminartages mit Mobben. Die Studierenden ließen sich Einiges einfallen. Dann stellten wir die Fragen, die im Lernen leitend sind (Bücher Werkzeuge und Andere arbeiten lassen). Was ist das? Wie geht das? Wozu ist es gut?

Wie bitte? Ja, die Mobbenden versprechen sich einen Nutzen davon. Eine Definition des Mobbing arbeiteten wir zumeist zügig heraus (siehe oben). Und wie nun?

 

Wie geht Mobbing?

Kurz zusammen gefasst kamen Antworten wie

  • Jemanden unfair behandeln. 
  • So richtig fies sein - aber nicht zu offensichtlich.

Es folgten Methoden im Detail wie

  • Über jemanden negativ reden.
  • Jemanden von Informationen ausschließen.
  • Jemanden in Besprechungen bloß stellen.
  • Und als Steigerung davon: dies unberechtigterweise tun, also Fehler und Versäumnisse unterstellen, die der Betroffene nicht getan oder zu verantworten hat. Ganz geschickt, wenn es Taten oder Unterlassungen sind, die der Betroffene erst selbst überprüfen muss, weil es einige Tage in der Vergangenheit liegt.
  • Als Führungskraft (in hierarchisch geprägten Organisationen "Vorgesetzter") der mittleren Ebene "Stimmen aus der Abteilung / dem Bereich sammeln" und damit zum nächst höheren Chef gehen: der Betroffene mache oder unterlasse dieses und jenes.
  • Jemanden ignorieren.
  • Die Arbeit des Betroffenen verzögern durch nicht oder spätes Ausführen bestimmter Aufgaben.
  • Den Arbeitsplatz wegnehmen - nicht den Job, sondern den Ort. Kündigen Sie es dem Betroffenen als Tausch an. Das neue Büro ist natürlich nicht so praktisch oder schön. Und dann kommen Sie unmittelbar anschließend in das alte Büro des Betroffenen, während dieser arbeitet und sagen, dass Sie nun unbedingt sofort etwas ausmessen müssen. Und haben gleich einen oder zwei Handwerker dabei.

An dieser Stelle ein kleiner Vorgriff, was Betroffene tun können: höflich, aber bestimmt sagen: nicht jetzt, später. Das hier ist wichtig und dringend. Dabei zeigen Sie auf den Monitor Ihres PC. Und zuvor, bei der Besichtigung Ihres neuen Büros haben Sie natürlich gleich die möglichen Vorzüge dieses neuen Arbeitsplatzes erkannt und Ihrem Kollegen beschrieben. Ob Sie sich dann auch noch bedanken, bleibt Ihnen überlassen. Die Studierenden hatten noch weitere Ideen.

  • Lassen Sie ihn gar nicht erst rein in Ihre Abteilung, in Ihre Gruppe. Keine Einführung, keine Einarbeitung, und bei Fragen kurze Antworten eingeleitet oder abgeschlossen mit dem Zusatz 'für mehr habe ich jetzt keine Zeit'.

Akteure

Nachdem die Studierenden Kreativität im Mobben gezeigt haben, fragten wir nach den Akteuren. Nach den Stakeholdern. Stakeholder sind Personen oder Gruppen, die ein starkes Interesse in einer Angelegenheit haben (Buch Werkzeuge). Wer mobbt? Wer wird gemobbt?

  • Mitarbeiter mobben Mitabeiter.
  • Führungskraft mobbt Mitarbeiter.
  • Mitarbeiter und Führungskraft mobben gemeinsam Mitarbeiter.
  • Mitarbeiter mobben Führungskraft.

Wer ist ein mögliches Opfer? Ein Mensch, der anders ist (ein "schönes" Beispiel beschreibt Leymann 1990). Oder auch der Neue. Er bringt Unruhe. Er hinterfragt Routinen und Arbeitsabläufe. Er sieht Fehler und benennt sie, nicht immer willentlich. Natürlich ist dies nicht bei jedem Neuen der Fall. Oftmals sehen Abteilungen und Gruppen neue Kollegen als mögliche Bereicherung.

Zu Konflikten - auch Mobbing ist ein Konflikt - kann es vor allem kommen, wenn zwei Akteure oder Akteursgruppen nicht zu einander passen und es keine Kultur des sich aufeinander Einlassen gibt. Stellen Sie sich beispielsweise vor, es gibt ein sehr lebhaftes Team mit eher kernigen Umgangsformen und dann kommt ein eher zweifelnder und vielleicht sogar hilflos wirkender Mensch hinzu. Oder in der Gruppe sind alle unheimlich lieb zueinander, es gibt niemals Streit und dann kommt ein Mensch, der Dinge benennt. Auch die Versäumnisse, die es doch gar nicht gibt. Es muss nicht zum Mobbing kommen. Allerdings stellt sich die Frage, wozu ist Mobbing gut? Was versprechen mobbende Menschen sich davon?

 

Welchen Nutzen haben die Mobbenden?

Sowohl die Studierenden als auch meine Klienten sagen zumeist

  • Einen Sündenbock finden.
  • Von eigenen Fehlern der Gruppe oder Einzelner ablenken.
  • Von Konflikten in der Gruppe ablenken - nichts einigt so sehr wie ein gemeinsamer Gegner.
  • Die Unruhe durch Neue im bequemen Alltagstrott wieder zur gewohnten Ruhe werden lassen.
  • Als einzelne Person mitwirken und somit die eigene Zugehörigkeit zur Gruppe und / oder das Wohlwollen der Führungskraft stärken.

Es geschieht also Streit und Leid zumindest für den Betroffenen. Auch Mobbende können leiden, wenn sie beispielsweise nicht ihrem Gewissen sondern einem Gruppendruck folgen. Was ist also zu tun, wenn es passiert?

 

Wie lässt sich ein konkretes Mobbing kurieren?

Die schlechte Nachricht wäre: gar nicht. Der Betroffene geht. Muss aber nicht sein. Mobbing kann eine Chance sowohl für die Mobbenden als auch für den Betroffenen sein.

    "Es ist Zeit, dass wir miteinander sprechen, statt übereinander."

Dieser Satz kann wirksam sein, wenn Ihnen als Betroffener jemand Vorwürfe macht, was alles mit Ihnen nicht stimmt. Kleine Rückkehr zu den Mobbingmethoden: besonders wirksam ist dies, wenn eine Führungskraft das macht, am besten zwischen "Tür und Angel", wenn schon der nächste Termin ansteht und sicher keine Zeit für ein ruhiges Gespräch ist.

Also sorgen Sie als Betroffener dafür, dass das Gespräch stattfindet. Bald! Und wenn der andere ausweicht und keinen Termin findet: Gehen Sie zur ihm vorgesetzten Führungskraft.

Und davor gehen Sie in sich.

 

Mobbing als Chance - für den Betroffenen

Notieren Sie, was wann wo wie mit wem passiert ist. Und was nicht passiert ist, das hätte passieren sollen. Beispiele sind Informationen, Einführungen, Einarbeitungen (dazu gehören auch IT und Co), das Ausführen von Aufgaben durch andere.

Und fragen Sie sich: Was ist an den Vorwürfen anderer dran?
In der Zusammenarbeit gibt es nicht die 1|0 Logik. In Vorwürfen gibt es oftmals Aspekte, die zutreffen. Welche Fehler machen Sie? Was gibt es in Ihrem Stil, das andere stören könnte? Wie können Sie das beheben?

Und denken Sie darüber nach, wer welchen Nutzen durch das Mobbing haben könnte. Seien Sie vorsichtig mit plakativen Urteilen.

Zumeist ist es sinnvoll, solche Reflexionen mit einer außenstehenden Person Ihres Vertrauens durchzuführen. Es kann ein guter Freund sein. Eher nicht der Beziehungspartner. Der ist zu dicht an Ihnen dran. Oder es kann ein Profi sein. Es gibt zahlreiche Berufsgruppen, die dieses Thema bearbeiten können. Mediatoren, Coaches, Berater, von der Ausbildung her Psychologen, Philosophen, Ärzte, Sozialarbeiter, Theologen und viele mehr. In den Reflexionen geht es natürlich auch darum: was kann der Betroffene tun?

  • Ruhe bewahren.
  • Offen und höflich bleiben.
  • Dokumentieren und reflektieren.
  • Immer wieder das Gespräch suchen.

Und es aussprechen: ich fühle mich gemobbt.

In vielen Fällen, in denen Menschen andere beeinträchtigen, sagen die Opfer nichts. Aus Angst vor Scham, vor Schuldzuweisungen, vor Demütigungen. Sie schweigen. Sie gehen. Geht nicht. Sprechen Sie es aus!

Dann kann Mobbing eine Chance sein. Für den Betroffenen als Schritt in der persönlichen Reifung. Für die Mobbenden als Erkenntnisse zu sich selbst und ihrer Gruppe.

 

Vom Mob zum Team

Wie aus einer mobbenden Gruppe ein Team im besten Sinne des Wortes wurde, habe ich als Beraterin in einer Bildungsinstitution erleben dürfen. Die Geschäftsführung hat einen solchen Vorfall als Chance genutzt und eine extern moderierte Analyse des Mobbings und eine Teamentwicklung veranlasst.

 

Gar nicht erst mobben

Was können wir tun, damit Mobbing gar nicht erst entsteht? Es braucht eine Kultur der Offenheit, Fairness und Zuverlässigkeit. Es braucht Respekt und Höflichkeit und Nachsicht mit anderen Persönlichkeitsstilen. Es ist für eine einzelne Person schwer, sich so zu verhalten, wenn das Klima ein anderes ist. Die gute Nachricht ist: Sie werden immer wieder Gleichgesinnte für gutes Zusammenarbeiten und Miteinander finden. Dafür gibt es Werkzeugkästen, Methoden, Modelle und Konzepte. Es gibt Menschen wie Watzlawick, Schulz von Thun, Sennett, Follet, Perkins, Senge, Sunzi, Tuckman und viele andere, die dazu Fundiertes zu sagen haben. Mehr dazu im Buch Menschen.

Der Betroffene, von dem eingangs die Rede war, ist derzeit dabei, einen Weg zu finden. Nicht weg sondern weiterhin mittendrin in seinem Job. Wird noch ein bisschen dauern, aber er ist zuversichtlich.

 

Christa Weßel - Samstag, 10 Mai 2025

(*) wieder sind unabhängig von der verwendeten Form alle Geschlechter gemeint: w, m, d.

 

Weiterer Lesestoff

Gute Einführung mit weiterführenden Links und Quellen: