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Patientenpfade

... von der Fiktion zum Fakt

Prozessorientierte Unternehmenssteuerung ist in aller Munde und - in Form der Patientenpfade -  auch im Gesundheitswesen angekommen ... Sollte man aufgrund von Publikationen, Presse und Internetauftritten von Krankenhäusern annehmen.

 

Die Realität sieht anders aus. Eine nicht allzu seltene Frage von Krankenhausdirektoren und anderen Führungskräften lautet: "Warum wendet die keiner an?"

 

Patientenpfade, oder wie sie auch genannt werden, Behandlungspfade, Klinische Behandlungspfade, Pflegepfade oder Clinical Pathwaysbeschreiben Diagnostik, Therapie und Pflege einschließlich Personal-, Material- und Gemeinkosten für eine Gruppe von Patienten.

 

Diese Gruppe leitet sich aus einer Diagnose, bspw. Herzinfarkt oder einer Therapie, bspw. Appendectomie (Entfernung des Wurmfortsatzes) ab. 

 

Die Gruppen orientieren sich zumeist an den Diagnoses Related Groups (DRG), einem Fallpauschalensystem, nach dem in Deutschland die Krankenhäuser die Vergütung für ihre stationären Patienten erhalten. Patientenpfade entstanden aus der Motivation, neben Kostenkontrolle auch die Qualität der medizinischen und pflegerischen Leistungen im Auge zu behalten (Weßel 1999).

 

Von medizinischen und pflegerischen Leitlinien unterscheiden Patientenpfade sich dadurch, dass sie neben den Anforderungen der Evidenz-, also Beweis-basierten Medizin und Pflege auch die spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Krankenhauses berücksichtigen.

 

Beispiel Schlaganfall: Goldstandard ist die Behandlung von Patienten mit Schlaganfall in einer Spezialabteilung, einer Stroke Unit. Wenn ein Haus nicht über eine solche Stroke Unit verfügt, muss es  klären, wie es mit Patienten mit Schlaganfall umgeht, dies beschreiben und umsetzen.

Einige Eingangsfragen könnten lauten: Verlegen wir? Wann verlegen wir? Wie ist bei uns eine Therapie angelehnt an den Stroke Unit Standard möglich, bspw. wenn der Patient nicht verlegt werden kann?

 

Ein zentrales Merkmal von Patientenpfaden ist die Entwicklung durch Experten aus Medizin und Pflege eines Hauses selbst. Neben der hohen Zuverlässigkeit erreicht ein Haus dadurch auch eine Identifikation der Menschen mit diesen Pfaden. Dies lässt aus Compliance (ich mach es, weil es so verordnet ist) Commitment entstehen: ich bin überzeugt von dieser Art des Arbeitens und setze mich dafür ein.

 

Drei Faktoren sind entscheidend für die erfolgreiche Entwicklung und Einführung von und der Arbeit mit Patientenpfaden:

  • Kommunikation über das Vorhaben und im Verlauf der Realisierung nach innen und außen.
  • Einbeziehung der Mitarbeiter in die Entwicklung.
  • Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen.

Letzteres betrifft vor allem die Freistellung von Experten aus dem eigenen Haus für die Arbeit an den Pfaden. Dazu zählen Ärzte, Pflegende, Therapeuten und Fachleute aus der Ökonomie, insbesondere dem Controlling, und aus der IT. Auch die Hinzuziehung von externen Experten fällt darunter.

 

Die Implementierung einer Darstellung im Klinischen Informationssystem (KIS) ist nur dann hilfreich, wenn sie eingebunden ist ein umfassendes Projekt. Dabei berücksichtigt das Haus seine Ressourcen und Prozesse und nutzt diese Chance zur Hinterfragung, Neugestaltung und Verbesserung.

 

In der Entwicklung und Einführung von Patientenpfaden in einem Haus können die Antworten auf die 8W das Feld abstecken und als Reflexionsbasis im Projektverlauf dienen.

 

Was? 

Patientenpfade beschreiben Diagnostik, Therapie und Pflege spezifisch für ein Haus unter Berücksichtigung der Evidence-based Practice (Medizin und Pflege).

 

Wozu?

Kostentransparenz, Steigerung von Qualität, Effizienz und Effektivität; Instrument zur prozessorientierten Steuerung eines Hauses, Kommunikation, Qualitätsmanagement und Aus- und Weiterbildung.

 

Wer?

Experten aus Medizin, Pflege und weiteren Gesundheitsberufen des Hauses unter Beteiligung von Controllern und IT-Experten.

 

Mit wem?

Unterstützt von Moderatoren und Projektmanagern mit Facherfahrung und Erfahrung in Konfliktmanagement und Organisationsentwicklung. Diese können interne oder externe Berater sein.

 

Wie?

Koordinierendes Projektteam, moderierte Arbeitsgruppen, Leistungskataloge, Visualisierungen als Abläufe, IT- und Controlling-Unterstützung, modulares und generisches Vorgehen: Entwickeltes immer wieder nutzen, bspw. ähnliche Aufnahme-, Entlassungs- oder OP-Verfahren.

 

Wann?

Auch wenn das Haus seine Mitarbeiter für Aufgaben in solch einem Projekt freistellt, kommt doch ein gewisser Mehraufwand auf alle Beteiligten zu. Daher brauchen sie und das Haus kurz- und mittelfristige Ergebnisse. 

Die Entwicklung eines Pfades dauert bei einem strukturierten, gut vorbereiteten und kommunizierten agilen Vorgehen vier bis sechs Wochen.

Dabei ist eine Lernkurve zu berücksichtigen.

Im Allgemeinen können Häuser in sechs Monaten fünf bis fünfzehn Pfade entwickeln (plus-minus).

 

Wo?

In allen Bereichen des Hauses, also in der Inneren Medizin, der Chirurgie, der Frauen- und Kinderheilkunde etcetera. Beginnen sollte ein Haus mit einigen einfachen und gleichzeitig häufigen Pfaden, um damit ein breite Wirkung sowohl bei den Mitarbeitern als auch in der Unternehmenssteuerung zu erreichen.

 

Für wen?

Die Entwicklung, Einführung und Anwendung von Patientenpfaden kommt den Patienten, dem Haus, den Mitarbeitern und auch den Kostenträgern und somit dem Gesundheitssystem insgesamt zu gute. Zahlreiche Studien haben ihre positive Wirkung auf Qualität der medizinischen und pflegerischen Leistungen und die ökonomische Situation der Krankenhäuser und anderer Leistungserbringer gezeigt (Weßel 2011).

 

 

Unbedingt zu empfehlen ist ein schrittweises Vorgehen, also der Start mit einigen wenigen wichtigen Pfaden und die sukzessive Ausbreitung.

 

Die Hinzuziehung externer Experten als Berater, Moderatoren und Projektbegleiter ist dabei Ressourcen schonend für das jeweilige Haus. Von ihnen kann ein Haus lernen, diese Pfade zu entwickeln und einzuführen. Gute Berater machen sich dabei möglichst rasch überflüssig: "Der Klient kennt die Lösung."

 

Diese Berater müssen Know How im Fach sowohl in Medizin und Pflege, als auch in Controlling und Medizinischer Informatik mitbringen und über Erfahrung in Konfliktmanagement und Organisationsentwicklung verfügen.

 

Welche Chancen und Möglichkeiten Patientenpfade in der Entwicklung eines Hauses bieten, stellt das Buch "Geschäftsprozesse und Organisationales Lernen" vor (Weßel 2014).

 

Christa Weßel - Do, 06. September 2012

 

Quellen [hinzugefügt am 02.02.2018]

  • Weßel C. Behandlungspfade als Qualitätsmanagement-Instrumente. Dissertationsschrift zur Dr. med. Basel (CH): Universität Basel, 1999. - PDF 
  • Weßel C. Klinische Behandlungspfade: Chance zur interdisziplinären Arbeit von Medizinern, Pflege, Ökonomen und IT und Organisationsentwicklung im Gesundheitswesen. 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Gemeinsam forschen für Gesundheit. Mainz, 26.-29.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. DOI: 10.3205/11gmds507. Abstractband: S. 573-574. - http://www.egms.de/en/meetings/gmds2011/11gmds507.shtml  und Handout pdf 
  • Weßel C. Geschäftsprozesse und Organisationales Lernen. Berlin, epubli 2014. 

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