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Fischzug

... Kultur und Kreatives in Oldenburg

Als ich am Dienstagabend diesen Stapel sah, dachte ich: das war ein Fischzug. Das Netz: die Verbindungen, die sich von einer Begegnung zur nächsten ergeben. Dieses Mal erstreckten sich die Begegnungen in Oldenburg über mehrere Tage. Die Links finden Sie unten am Ende dieses Blogeintrages. 

Samstag

Das während des Bücher-Bummels (blog 20 Sep 2021) bestellte Buch war in der Buchhandlung eingetroffen. Wunderbares Frühherbstwetter. Also mit dem Rad gen Altstadt und dies dort durch die Gassen schieben. Mal sehen, was es hier sonst noch so gibt. Etliches. Viele Inhaber-geführte kleinere Geschäfte, Kneipen, Restaurants, Cafés und ein Plakat, geschickt unten in einem Fenster angebracht, denn die Musikerinnen und Musiker schauen nach oben. Eliot Quartett. Am Mittwoch, 6 Oktober, im Oldenburger Schloss. Karten gibt es unter anderem in der Buchhandlung Libretto. Diese war eine der Buchhandlungen, die mir eine der Bibliothekarinnen der Uni Oldenburg empfohlen hatte. Da es bereits Nachmittag war, wollte ich am Montag dort anrufen.

 

Montag

Libretto Bücher und Noten

Anruf dort. Ja, es gebe noch Karten, eine für das 20-Uhr-Konzert und mehrere für das Konzert um 17 Uhr. "Sind Sie Mitglied des Oldenburger Kunstvereins?" - "Nein, warum?" - "Dann sind die Karten im Preis reduziert." - "Aha!" - "Wenn Sie kommen, um die Karte abzuholen, ich habe hier einen Flyer. Dann können Sie sich das einmal ansehen." - "Gerne. Bis später."

 

Den Oldenburger Kunstverein (OKV) habe ich mir unmittelbar angesehen. Im Netz, dem digitalen. (Zu dem anderen Netz später mehr.) 1843 gegründet und einer der ältesten Kunstvereine Deutschlands. Mitglied werden? Auf jeden Fall. Ich hatte in anderen Städten bereits sehr gute Erfahrungen damit gemacht und bin immer wieder angetan von dem Engagement der Kunstvereine.

 

Nachmittags dann wieder auf's Rad, die Altstadt umrunden. Zunächst auf der Peterstraße, vorbei an der Stadtbibliothek, die im Kulturzentrum PFL, dem ehemaligen Peter Friedrich Ludwigs Hospital, untergebracht ist (Begegnungen, blog 15 Aug 2021). Bereits hier immer wieder mit Blick auf die Grünanlagen, die sich entlang der ehemaligen Wallanlagen und des Wallgrabens ziehen. Die Ofener Straße kreuzen und dann direkt am Wallgraben entlang. Am Staatstheater Oldenburg (Oper und Theater) abbiegen und den Theaterwall überqueren, denn die Buchhandlung Libretto ist passenderweise gegenüber der Oper.

 

Ein Mosaik auf dem Fußboden des Eingangsbereichs heißt die Besucherin willkommen. Der Blick schweift über Regale und ein Papiertheater und die Inhaberin lächelt die Besucherin freundlich an. Das ist auch hinter der Maske gut zu erkennen. An den Augen und daran, wie die Maske sich verzieht. Zunächst die Konzertkarte. "Ich habe mit Frau ... vom Kunstverein telefoniert. Wenn Sie eintreten, bekommen Sie diese  Karte auch schon reduziert." - "Ich werde auf jeden Fall eintreten, denn ich habe den Kunstverein im Netz besucht und bin angetan." - "Gut, dann machen wir das so." 

 

Und dann schloss sich ein sehr schönes Gespräch an. Während wir miteinander sprachen, schweifte mein Bick durch die Regale. Wunderbare Belletristik jenseits von Bestsellerlisten. Auch Sachbücher. "Anatomie?" - "Ja, das hat mich angesprochen." Blick in das Buch. "Das nehme ich, das ist gut."

 

Ute Pukropski und damit die Buchhandlung Libretto sind, wie auch auf ihrer Website nachzulesen ist, kulturell sehr aktiv, kreativ und vernetzt. Die Geschichte der Buchhandlung und wie sie dazu gekommen ist, eine Buchhandlung mit einem besonderen Programm (Bücher und Noten) zu führen, ist faszinierend. 

 

Fahrradtour-Kringel

Der Kunstverein und sein Museum sind dienstags bis sonntags geöffnet. Also endete dieser Nachmittag mit einer Fahrt weiter den Theaterwall gen Osten. Er geht über in den Schlosswall. Hier vorbei am Elisabeth Anna Palais. Blick auf den Schlosspark (Süd) und das Schloss (Nord). Weiter zur Hunte und dann ein paar Kilometer Küstenkanal, Osternburger Kanal, Hunte und wieder Küstenkanal entlang. Einer meiner kleinen "Fahrradtour-Kringel" in und um Oldenburg herum.

 

Dienstag

Als ich dann am Dienstagnachmittag loszog, wieder bei herrlichem Frühherbstwetter die Wallanlagen entlang, ging mir durch den Kopf: das ist klasse. Erinnert mich an Aachen und Frankfurt am Main. In beiden Städten habe ich einige Jahre gelebt. In beiden war ich viel mit dem Rad unterwegs. Beide haben Wallanlagen, die sich hervorragend als Fahrradweg um die Altstadt herum eignen. Umgehungsstraße der CO2-freien Art. Und Aachen und Frankfurt am Main haben ein intensives Kulturleben. Oldenburg auch. Und dann ist da noch das Norddeutsche. Die Menschen ticken nun mal in jedem Landstrich etwas anders. (Da ich hier in der Gegend aufgewachsen bin, ist es mir besonders angenehm - auch wenn es woanders immer wieder schön war und ist.)

 

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, nur den Kunstverein und die Ausstellung zu besuchen und dann vielleicht wieder gen Hunte zu fahren. Es kam anders.

 

Kunstverein

Das Gebäude des Kunstverein ist an der Rückseite des Augusteum. Ein älterer Herr vor mir plante Konzertbesuche des Winters. Dann wendete sich die junge Dame mir zu. Wie sich im Verlauf unserer Gespräche vor und nach meinem Ausstellungsbesuch herausstellte, ist sie Kunsthistorikerin. Ihr besonderes Interesse gilt der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts. Dann haben wir etwas gemeinsam und ich erzählte von Lotte Laserstein und der Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum (blog 30 Nov 2018). Der Oldenburger Kunstverein präsentiert Künstler der Gegenwart. 

 

Während sie den vorläufigen Mitgliedsausweis fertig machte, ging ich in die Ausstellung. Doch zuvor etwas zum Gebäude. In den 1960er Jahren gebaut und 2008 saniert. Kubisch. Beton (Boden), Stein (Wände), weiß gestrichen, dunkles Holz (Deckenträger und Decken), Glas (Fenster). Auch im Dach senkrecht. In der Mitte ist ein großes Quadrat höher. Dies und geschickt angebrachte Neonröhren (aha?!) ermöglichen eine hervorragende Hängung, Aufstellung und Ausleuchtung der Kunstwerke. Gelungen ist dies jedenfalls für die Ausstellung von Werken des Künstlers Alexander Wolff, "Malen vor Ort", und, wie der 175-Jahre-Jubiläumsband zeigt, auch für frühere Ausstellungen.

 

Nach einer Stunde war es zunächst einmal genug und ich ging wieder zum Schalter. Der Ausweis war fertig. Gültig ist er für die Ausstellungen des Oldenburger Kunstvereins (und der weiteren in Deutschland), Veranstaltungen und Konzerte, allerdings nicht für weitere Museen in Oldenburg. 

 

Eine Museumscard für Oldenburg?!

"Gibt es denn in Oldenburg so etwas wie eine Museumscard für alle Museen? Ich kenne etwas in dieser Art aus Frankfurt am Main und Berlin." - "Nicht wirklich. Für das Landesmuseum mit Schloss, Prinzenpalais und Augusteum gibt es wohl so etwas. Das Horst Jansen Museum ist nicht dabei. Dort ist derzeit der Eintritt frei, weil das Stadtmuseum geschlossen ist. Es wird saniert." - "So eine Museumscard ist eine feine Sache. Andere Menschen gehen shoppen, ich gehe ins Museum und in den Baumarkt. Ich finde es wunderbar, wenn ich in der Stadt bin, immer mal wieder kurz in ein Museum zu gehen, auch mehrfach in dieselbe Ausstellung. Immer wieder die Kunstwerke betrachten, die mich beim ersten Sehen besonders berührt haben. Erleben, genießen, mich mit ihnen auseinander setzen. Und bei weiteren Besuchen entdecke ich oft noch andere." 

 

Die Kunsthistorikerin konnte das verstehen. Damit dies vielleicht auch andere anspricht, wäre doch eine Museumscard ein guter Weg um die Hemmschwelle auszuräumen. Dann kann Kunst und der Besuch eines Museums zu etwas werden, was ich als Grundnahrungsmittel sehe: für Geist, Herz, Seele und damit auch den Körper (alles eins). Lebensmittel allein sind es nicht. "Falls ich mich hier in Oldenburg mal irgendwie engagiere, wäre das etwas wofür ich gerne eintreten würde." Auch das konnte die Kunsthistorikerin gut verstehen. Es gibt zahlreiche Museen in Oldenburg. 

 

Die "Kleinen" ganz groß

Ute Prukopski hatte in unserem Gespräch am Montag über Inhaber-geführte Buchhandlungen und andere Läden, Handwerker, Künstler, Märkte, Lokalsender, ihre Verknüpfung untereinander, mit Vereinen und mit einigen "Großen", wie Bibliotheken, Museen, Oper, Theater und Uni auch gefragt, ob ich das Antiquariat Buchstabei kenne. Noch nicht. Das änderte sich heute und es kam noch mehr hinzu. 

Buchstabei, Antiquariat und neue Bücher

"Natürlich bestellen wir auch gerne neue Bücher für unsere Kunden." Dies hat Michael Deblitz während unseres Gesprächs dann auch gleich für einen Kunden getan, der kurz hineinkam, und nur meinte: "Das brauche ich." 

 

Die Buchstabei lädt zum Verweilen ein - wie die anderen Läden, Bibliotheken, Museen, Märkte und anderes, von denen in diesen Oldenburger Geschichten die Rede ist (tag / Stichwort "Oldenburg"). Hier in der Nadorster Straße sind es das Sofa, die schönen Regale, die Anordnung des Schreibtisches und des Büchertisches, die Ausleuchtung und vor allem natürlich die Bücher. Zuerst habe ich die liebevoll angeordnete Fensterauslage betrachtet. Zu vielen Büchern gibt es ein Karte, auf der Michael Deblitz das Buch beschreibt. Handschriftlich. Bereits draußen hatte ich mir ein Buch ausgesucht (Huckleberry Finn) und ich durfte die Karte, die er dazu geschrieben hatte, mitnehmen. 

 

Auch Michael Deblitz erzählte die Geschichte seiner Buchhandlung. Von Veranstaltungen und Umzügen. Wo er die alten Bücher findet oder wie sie zu ihm kommen. 

 

Wie gut, dass ich nur eine kleine Tasche dabei hatte und aus den Erfahrungen früherer Buchhandlungsbesuche wusste: ein Buch, mehr nicht. Es gibt auch Bibliotheken. Denn meist finde ich viel mehr Bücher, die ich gerne mitnehmen würde. Und das sprengt beides: die Regale zuhause und das Budget. 

 

Mein Fahrrad hatte ich vor die Fenster des Nachbarladens gestellt. Und siehe da, spannend. Zwei Menschen drin, also ich hinein.

 

Nachbarn, zum Beispiel Flechtwerkerinnen, Korbmacher, Töpferinnen ...

Hineingelockt hatten mich zuerst die Keramikarbeiten und dann der Blick auf Stühle mit Flechtwerk, die offensichtlich in Arbeit waren. Eine Werkstatt? Ja. Die Werkstatt von Sabrina Roth: Flechtwerk kreuz & quer. Sie stellt hier außerdem die Arbeiten von FlechtArt & GartenWerk (Christoph Martin) und Keramiken von Marianne Pipping-Rabe aus. "Sie sind ein Flechtwerk, ein Netz." - "Ja, es gibt etliche Korbflechterinnen und Korbflechter. Jede und jeder hat seinen Schwerpunkt." Sabrina Roth, die zweite Kunsthistorikerin dieses Tages, erzählt, wie sie zum Flechthandwerk kam, wie die Ausbildungen in Deutschland erfolgen, wie kreativ beispielsweise die Dänen und die Franzosen sind, und welchen Weg sie in ihrer Ausbildung genommen hat (umfassend und vielfältig) und nimmt ("Es gibt Sommerkurse in jedem Jahr. Einen oder zwei besuche ich weiterhin.") Auf dem Laufenden ist sie bestimmt. Die Arbeiten, die ich im Werkstattladen sehen konnte, haben es gezeigt. Wunderschöne alte und auch jüngere Stühle. Mit Flechtwerk. 

 

Eine Stärkung

"Was hast du besonders vermisst in dem Jahr auf dem Boot?" ist eine immer wieder gehörte Frage. Kultur, klar. Essen ist auch Teil der Kultur. Brot, dunkel, kräftig, und Döner. Seit meinen ersten Studententagen in Berlin bin ich ein Fan. Die Kinder meines Nachbarn in Frankfurt am Main sangen gerne "Döner macht schöner." Keine Ahnung, ob das stimmt. Es macht auf jeden Fall Spaß, vor allem, wenn es in Fahrradnähe guten Döner gibt, zum Beispiel im Dunya Grill. Sie haben außerdem einen Steinofen für die Pizza. Die Pizza muss noch ein wenig warten. Am Dienstagabend war wieder Döner-Zeit: knuspriges Brot, gutes Fleisch, knackiger Salat und lecker gewürzte Soße. Und danach: Sofa, nicht im Buchstabei, sondern zuhause.

 

Mittwoch: Eliot Quartett

Eliot Quartett | Foto: Thomas Stimmel
Eliot Quartett | Foto: Thomas Stimmel

Am folgenden Tag war es dann soweit. Zum ersten Mal war ich im Oldenburger Schloss. Konzert im Schlosssaal. In einem Wort? Wunderbar.

 

Das Eliot Quartett gründete sich 2014: Maryana Osipova (Violine), Alexander Sachs (Violine), Dmitry Hahalin (Viola), Michael Preuss (Violoncello). Der Name ist vom Dichter T.S. Eliot inspiriert, den wiederum Ludwig van Beethovens Streichquartette zu "Four Seasons" inspirierten. 

 

Auf dem Programm an diesem Nachmittag und Abend war auch Ludwig van Beethoven, Streichquartett cis-Moll, op. 131. Es folgte nach der Lüftungspause auf Felix Mendelssohn Bartholdy, Streichquartett a-Moll, op. 13. Noch jemand, der sich von Beethoven inspirieren lies. Mendelssohn zitiert Beethoven und tritt mit ihm in einen Dialog - so das Programmheft des Oldenburger Kunstvereins. 

 

Soweit meine Musikkenntnisse dies zulassen, kann ich das bestätigen. Was ich vor allem sagen kann: diese vier jungen Menschen musizieren mit großem Können und Liebe zur Musik einfühlsam und temperamentvoll (das geht). Beethoven ist mein Lieblingskomponist. Während seines Streichquartetts ging mir durch den Sinn: Die Sätze übergangslos, wie von LvB vorgesehen. Erster Satz: sanft, ja, ich glaube, auf diese Art gespielt, so hätte LvB das gewollt. Zweiter Satz: das "rockt", wie ich es immer wieder bei LvB heraushöre. Fünfter Satz: das "rockt" auch. Sechster Satz: pling, pling. Sie haben Freude, haben Spaß. Und er ist da, der Beethoven-Sound. Als Zugabe beschenkte das Eliot Quartett uns, die Zuhörenden, mit dem fünften Satz des 13. Streichquartetts (op 130).

 

Zum Schluss gab es noch ein Geschenk. Die vier kamen ins Foyer und signierten die CDs. Auf einer der Innenseiten der CD, die ich ausgewählt und mit Freude erworben habe, steht nun "Für Christa ..." und ihre Autogramme. Die CD: Eliot Quartett & Bettina Kessler (Violoncello). Franz Schubert, Streichquintett c-Dur, D. 946. Aufgenommen in der Festeburgkirche, Frankfurt am Main. Leider steht das Erscheinungsjahr nirgends. Gestern Abend hieß es, die Aufnahme sei von 2020. Wichtiger ist die Musik. Auch dies: Wunderbar. 

 

Donnerstag: Netze

Es gibt sicher viele Menschen, die so unterwegs sind, wenn sie neu in eine Stadt oder einen Landstrich kommen. Zur wissenschaftlichen Methode haben es Völkerkundler, Kulturanthropologen und Soziologen gemacht: die Netzwerkanalyse (Buch: Sozioinformatik). Die Knoten sind die Menschen und Organisationen, die Kanten sind ihre Beziehungen zueinander. Es ist immer wieder ein Vergnügen, von den Menschen hier zur Begegnung mit dem nächsten "Knoten" angeregt zu werden. Die Skizze ist in Arbeit.

 

Christa Weßel - Donnerstag, 07 Oktober 2021 

 

Lese- und Begegnungsstoff

... die hier erwähnten Bücher & CD

  • Speckmann EJ, Wittkowski W. Handbuch Anatomie. h.f.ulmann 2015.
  • Twain M. Huckleberry Finn.  Author’s National Edition. The writings of Mark Twain. Volume VIII. Harper & Brothers Publishers 1912. (youngest copyright, bookseller Buchstabei assumes 1920ies)
  • Eliot Quartett & Bettina Kessler (Violoncello). Franz Schubert, Streichquintett c-Dur, D. 946. Aufgenommen in der Festeburgkirche, Frankfurt am Main, (wschl.) 2020.
  • Weßel C. Sozioinformatik, Kapitel "Netzwerkanalyse: Das Leben ein Netz". Weidenborn Verlag 2021.

... wo ich bereits war

(URLs abgerufen am 07 Okt 2021)

 

... wo ich noch hin möchte

(URLs abgerufen am 07 Okt 2021)