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Begegnungen

Pandemie, Soziotechnik, Bücher uvm in Oldenburg und umzu

Markt in Oldenburg (OL)
Markt in Oldenburg (OL)

 

Wieder ein Kellerschnack mit einem Nachbarn, der seit langen Jahren in Oldenburg lebt und wie ich nicht aus dieser Stadt kommt. Meine zahlreichen Begegnungen und Gespräche in der Stadt und "umzu", zum Beispiel auf dem Marktplatz, führen zu einer Frage, die er mir vielleicht beantworten kann: "Ist das so, weil ich mit Riesenaugen durch diese Stadt gehe oder sind die Oldenburger so?" - "Sie sind so. Allerdings kommt es auch darauf an, wie man unterwegs ist. Wenn ich durch die Stadt laufe und nur meine Dinge im Kopf habe, passiert nichts. Wenn ich schaue, passieren solche Begegnungen." - "Prima, das bedeutet, die Menschen hier sind offen _und_ lassen anderer in Ruhe." - "Genau."

 

Kellerschnack ist der Bruder des "Stegschnacks". So nennen Bootsmenschen Begegnungen im Hafen, die zu spontanen, meist eine viertel Stunde, manchmal sogar mehrere Stunden langen Gesprächen führen. Menschen, die einander kennen, aber auch bis dahin einander Unbekannte. Im ersten Jahr der Pandemie hat sich dies noch verstärkt. Das Buch "Refugium" erzählt davon, wie es so war, im ersten Jahr der Pandemie in einem Hafen auf einem Boot (Work in Progress). 

 

Ein Mensch aus dem Verlagshaus meinte, als er von den Begegnungen in Oldenburg und dem Bruder des Stegschnacks hörte: "Nun musst du noch ein Buch schreiben. Das erste erzählt vom Bootsleben. Und nun berichtest du, wie das zweite Jahr in der Pandemie sich an Land anlässt. Du schreibst ein Buch über Oldenburg." Aha.

 

(Verlagshaus nenne ich die Königstraße 43 in Rastede. Dort ist Die Werkstatt Verlagsauslieferung und bietet außerdem Raum für den Werkstatt Verlag und noch einige andere, so auch für den Weidenborn Verlag. Rudi Moos berichtet davon, unter anderem am 14 Nov 2019)

 

Auch im Biber (Buch Sozioinformatik) sind die Pandemie und der Beitrag, den Sozioinformatik zu ihrer Bewältigung leisten kann, Thema. Zu einem Rezensenten meinte ich nach dem Blog "Soziotechnik": "Du hast doch geschrieben, der Biber braucht bald eine Neuauflage. Im Blog gibt es schon mal eine Fortsetzung."

 

Ob aus den Oldenburger Begegnungen jemals ein Buch entstehen wird, ist ungewiss. Zunächst einmal gibt es Geschichten im Blog, die sich derzeit um drei Themen ranken:

 

o das zweite Jahre der COVID-19 Pandemie (zuerst: 07 Jul 2021),

o Soziotechnik als Fortsetzung des Themas Sozioinformatik (zuerst: 10 Aug 2021)

o und das Bücher schreiben, machen und verbreiten (zuerst: heute).

 

Vor allem die Bücherwelt bekommt hier an Land einen anderen Charakter. Ein weiterer Mensch aus dem Verlagshaus meinte vor drei Tagen: "Warum sind Sie nicht auf dem Boot, jetzt im Sommer?" - "Weil es hier Dinge gibt, die es dort nicht gibt." - "Was denn?" - "Hier kann ich direkt mit Menschen zusammenarbeiten und das auch noch draußen. Beim Coaching gehen wir spazieren." - "Aha, und was noch?" - "Bibliotheken, und die gibt es in Oldenburg satt."

 

Damit begann der erste Nachmittag des dieses Mal zwei Nachmittage währenden Oldenburger Stadtspaziergangs.

 

Bibliotheken: "Hüter des Wissens"

habe ich den Abschnitt im "Biber" überschrieben, der von Bibliothekaren handelt:

 

Sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA und in Europa waren Bibliothekswissenschaftler unter den Ersten, wenn nicht die Ersten, denen bewusst wurde, dass Lernen und Wissen Management erfordern. Management nicht nur in organisatorischer, entscheidender und steuernder Hinsicht sondern auch Technologien. Sie fragten sich: Wie können wir Wissen speichern und weitergeben? Ist das überhaupt möglich?

[…]

Bibliothekare wissen seit Jahrzehnten, dass Datenbanken für die Speicherung, das Wiederauffinden und die Verteilung von Büchern, Zeitschriften und anderen „Wissensboxen“ (knowledge-„boxes“) erforderlich sind. In enger Zusammenarbeit mit Informatikern trieben und treiben sie die Entwicklung von Literaturdatenbanken und des e-Learnings voran. Darum gehören Bibliothekare und Bibliothekswissenschaftler in meinen Augen zu den Eltern der Sozioinformatik.

(Weßel. Sozioinformatik. 2021, S. 42)

 

Am Donnerstag war ich in zwei Bibliotheken, dem Hauptsitz der Stadtbibliothek im PFL (kurz für: Peter Friedrich Ludwigs Hospital, ein ehemaliges Krankenhaus) und in der Landesbibliothek am Pferdemarkt. Auf die Bibliotheken der Uni und der Fachhochschule freue ich mich schon. 

 

"Kennen Sie den Film "The Day after Tomorrow"?" Zwei der drei Bibliothekarinnen, mit denen ich an diesem Nachmittag sprach, kannten ihn. Der dritten habe ich ihn empfohlen als "Liebeserklärung an Bibliothekare". Der Film spielt zu einem großem Teil in der New York Public Library. Wenn Sie einen Eindruck von der NYPL bekommen möchten, es gibt einen wunderbaren Kurzfilm von Frederick Wiseman (2017). (Jetzt weiß ich, welcher Film in eine Neuauflage des Bibers zu den anderen dazukommen muss.)

 

"Grundnahrungsmittel" Feedback

Mit der Bibliothekarin, die "The Day after Tomorrow" noch nicht kannte, habe ich länger gesprochen und ein großes Geschenk erhalten: Feedback. Feedback bezeichne ich als Grundnahrungsmittel. Menschen brauchen ein Echo in ihrer Arbeit und ihrem Privatleben. Ein Echo kann kurz sein, kann positiv oder negativ sein, ist auf jeden Fall, wenn es empathisch oder mindesten neutral kommt, hilfreich, klärend, inspirierend, ermutigend und vieles mehr (30 Nov 2016 Spuren).

 

Dieses Feedback bezog sich auf die Bücher des Weidenborn Verlags, und zwar auf ihr Layout, ihr Design und vor allem das Schriftbild. Denn, auch wenn ich eine große Anhängerin von TeX bin, so bin ich mir doch darüber im Klaren, dass ich kein Profi bin und trotzdem die Bücher selbst mit LaTeX setze (mehr zum Wie im Buch "Refugium"). Diese Frau ist (a) Profi und Expertin und (b) neutral. Nach einigem Blättern, Lesen und Schauen (eine Doppelseite auf sich wirken lassen) sowohl in den Hardcover-Büchern als auch im Softcover-Buch meinte sie: "Die Bücher schauen und fühlen sich gut an. Das Schriftbild sieht gut aus. Es ist klar und angenehm zu lesen. Das Papier ist hochwertig und nicht ganz weiß, sehr gut für die Augen." Eh? Ja?! 

 

Ahnen Sie, wie ich mich über dieses Urteil einer Profi freue? Wie mir dieses Mut macht, tatsächlich mit dem Design, Layout und Material weiter zu machen, mit dem wir 2017 in Frankfurt am Main begonnen hatten? Bestimmt. (Rudi Moos berichtet von diesen ersten Schritten, auch "Refugium" erzählt davon.)

 

Ungefähr zwanzig Zentimeter über dem Teppichboden schwebend habe ich die Stadtbibliothek verlassen und bin weiter zur Landesbibliothek. Einige Bücher zurückgeben, andere neu finden. Das musste schnell gehen, denn es war kurz vor 19 Uhr. Trotzdem alle Anwesenden tiefenentspannt. Die beiden Bibliothekarinnen, der Wachmann und die andere Leserin, die ebenfalls Bücher zurück geben wollte. Oldenburg. 

 

Die beiden Bibliothekarinnen bestätigten, was auch ihre Kollegin bereits gesagt hatte: Es ist ungewöhnlich ruhig, auch in Pandemie-Zeiten.

 

Stille in Pandemie-Zeiten

"Nach dem ersten und dem zweiten Lock-down wussten wir vor Arbeit nicht, wo uns der Kopf steht. Die Menschen haben uns gestürmt. Aber jetzt? Sie könnten doch." - "Vielleicht fahren sie ja jetzt noch mal lange in Urlaub," war mein Gedanke, "noch können sie ja, bevor im Herbst eventuell neue Einschränkungen kommen." - "Vielleicht, passt nicht ganz, dazu dauert diese Stille schon zu lange."

 

Es ist Platz genug in den Bibliotheken, die AHA-L Maßnahmen sind leicht einzuhalten und die Bibliothekarinnen freuen sich über Menschen, mit denen und für die sie Detektive des Wissens sein können: "Was ist XXX und wo finde ich etwas dazu?" 

 

Seien Sie sicher: diese Menschen können das besser als andere, die einfach mit Tante Wikipedia und Onkel Google arbeiten. Und sie tun es gerne und es macht ihnen Freude - siehe "The Day after Tomorrow".

 

Sie wissen es bestimmt: in einer öffentlichen Bibliothek können Menschen, auch ohne dort eingeschrieben zu sein, lesen und mit Texten arbeiten, ihren eigenen und denen anderer. Der Junge in der Stadtbibliothek, der wartete bis die Bibliothekarin und ich uns voneinander verabschiedet hatten (oldenburgisch gelassen), hatte jedenfalls entdeckt, dass Menschen dort auch spielen können. Er hat die Fernbedienung einer Spielekonsole zurückgegeben. 

 

Das war der Donnerstag. Am Freitagnachmittag setzten sich die Begegnungen fort.

 

Persönliches Miteinander-Sprechen in Pandemie Zeiten

13:00 Rastede, Verlagshaus: "Warum sind Sie hier an Land?" - siehe oben.

 

15:00 Oldenburg, Supermarkt: Fünf Mal demselben Kunden begegnen, jeweils in einem anderen Gang. Erste Begegnung: er fragt mich "Was meinen Sie, reifen die Zitronen nach?" Zweite Begegnung: "Ich müsste mal an den Apfelsaft." Dritte Begegnung: "Dieses Plaudern im Supermarkt war ja einige Zeit die einzige Möglichkeit, mit neuen Menschen ins Gespräch zu kommen." - "Stimmt. Zuhause ist alles gesagt. Da ist es angenehm, mal was Neues zu hören." - "Zum Beispiel über Zitronen." - "Genau." - "Das ist etwas, das wäre schön, wenn wir Menschen das über die Pandemie hinaus bewahren, dieses Plaudern." - "Jo, wir machen das ja schon." Vierte Begegnung an der Kasse, freundliches Nicken. Fünfte Begegnung an den Fahrrädern: "Oh, prima, dass ich Sie hier treffe, dann frage ich mal etwas." - "Gerne." - "Wo in Oldenburg bekommt man Rotweingläser? Ich trinke selten Wein, aber nun ist mir ein Rioja begegnet und der verdient ein richtiges Weinglas." - "Hm, schwierig. Einige der kleineren Fachgeschäfte mussten durch die Pandemie aufgeben." - "Hier in Oldenburg?" - "Ja." - "Oh, das ist schade." - "Ja." - "Dann gehe ich also vielleicht ins Warenhaus an den Schlosshöfen." - "Ja, das könnte klappen." Tat es.

 

17:30 Oldenburg, Einkaufszentrum Schlosshöfe, das Warenhaus, die Haushaltswarenabteilung: Eine Verkäuferin, die gerade aus einer Pause und kürzlich aus einer Fortbildung über Weingläser zurück gekommen ist. Das Atmen von leichtem und schwerem Rotwein. Rioja: schwer, also die großen Kelche. Vom Wein über Kultur zur Mentalität von Menschen. Auch sie erlebt die Oldenburger wie mein Nachbar vom Kellerschnack (siehe oben). Und sie hat Vergleiche: Bremen und ein paar Städte im Süden und Westen Deutschlands, in denen sie jeweils ein paar Jahre gelebt hat. Eine Kassiererin, die einen Fehler in einem der Gläser entdeckt und sich bei der Kundin bedankt, dass diese noch mal nach oben gegangen ist und das Glas tauscht. Wie dies? Die Kundin hat doch etwas davon: ein fehlerfreies Glas. Und eine andere Kundin in der Schlange und ich waren uns einig: eines aus der Pandemie finden wir klasse. Kein Aufeinanderstapeln in Schlangen vor den Kassen, sondern angenehme Abstände. Die Markierungen auf den Fußböden können gerne bleiben. 

 

17:50 Ausgang Marktplatz, Bauernmarkt, wie jeden Freitag von 11 bis 18 Uhr (es gibt noch einige weitere in Oldenburg hier und zum Beispiel auf dem Pferdemarkt). Die Händler im Aufbruch begriffen. Ich bestaune die schönen Lebensmittel, die noch nicht weggepackt sind und stolpere fast über einen Pilz. Im übertragenen Sinn. PilzReich hat seinen Wagen jeden Freitag hier an dieser Ecke. Und der Eigentümer erzählt in aller Kürze ganz wunderbar von Edelpilzen. Die zwei, die roh genießbar sind, lässt er mich  probieren und wählt dann eine Pilzart aus, die mir wahrscheinlich schmecken wird, und sagt mir auch, wie ich die Pilze zubereite. "In mundgerechte Stücke schneiden, in Butter mit etwas Zwiebel dünsten und _danach_ erst mit Pfeffer und Salz würzen." Hat alles ganz wunderbar funktioniert und geschmeckt. "Wie wird ein Mensch Pilzprinz?" Die Krone neben dem Schriftzug und das angenehme Plaudern mit ihm haben diese Frage ausgelöst. "Das erzähle ich Ihnen, wenn Sie wiederkommen. Jetzt ist hier erst einmal Marktende." 

 

Wiederkommen? Gerne, es gibt noch weitere Pilzsorten und die anderen Menschen auf dem Markt haben sicher auch Köstlichkeiten.

 

Christa Weßel - Sonntag, 15 Aug 2021

 

Die erwähnten Filme

Buch: Refugium

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