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Gib acht auf dich

Christa Weßel (2012) Untiefe

 

Wie ein Gedicht und Vorgesetzte und Kollegen ermöglichen, aus einer Zwickmühle zu kommen. 


Nach einer Woche "ich habe Rücken" kann ich allmählich wieder etwas mehr als zehn Minuten sitzen. Stehen, zum Beispiel am Schreibpult geht etwas länger. Gehen geht seit dem vierten Tag von "ich habe Rücken" nahezu schmerzfrei und vorgestern bin ich der Empfehlung des Neurologen gefolgt, meine Muskulatur und Beweglichkeit mit etwas Fahrradfahren zu trainieren. Danach bin ich erst einmal wieder ins Bett. Der Neurologe, der außerdem sehr gut Manuelle Therapie beherrscht, hatte sich meiner angenommen, als ich nach zwei Stunden sitzen während einer Oberärztin-Visite fast nicht mehr aus dem Stuhl kam. Lendenwirbelsäule und so. Zuletzt war mir Ähnliches vor ungefähr sechs Jahren passiert. 


Ein bunter Sommer - mit bunt bezeichne ich anstrengende Phasen, vor allem im Job - ging mit einem erheblichen privaten Ereignis zu Ende, das meinen psychischen, physischen und sozialen Einsatz erforderte. (Die Trias der Gesundheit nach der WHO-Formulierung, Ottawa Charta 1986). Das Gute in der Klinik: Vorgesetzte und Kollegen ermöglichten mir diesen Einsatz, obwohl es Urlaubszeit und darum die Station mit Psychologen und Ärzten knapp besetzt war.  

Als ich zurückkam, ging es mit dem üblichen "Wahnsinn" weiter. Damit meine ich nicht unsere Patienten, sondern - wenn mensch Pech hat - hohen Arbeitsaufwand in einem Dienst (Marathon vom 01 Nov 2024). Nach einigen entspannten Diensten im August vor dem Einsatz folgte ein schöner aber leider auch achtzehn Stunden währender Dienst mit einer Stunde ruhen / schlafen. Zwei Tage später ging dann im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr. Heinz Kahlow (1924 bis 2015) hat dazu berührende Worte gefunden in einem Gedicht.  

 

Mahnung an C.

Geh sorgsam mit Dir um,
Dich kann’s nur ein Mal geben
und auch nur kurz.
Man darf dich nicht verbrauchen wie einen Rohstoff. 

Du bist kein Produkt.
Entzieh dich der Statistik.
Du bist wichtig.
Bewahre Dich.
Weiche der Härte aus.
Verweigere Dich den Überflüssigkeiten. 

Gib deine Antwort selbst.
Stell selber deine Fragen. 

Gib Acht auf Dich.
Dich gibt es nur ein Mal. 

(Heinz Kahlow, 1924-2015) 


Als ich dieses Gedicht vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal hörte, ahnte ich noch nicht, wie wichtig diese Mahnung einmal für mich werden würde. Denn ich sitze in einer 

 

Zwickmühle

Einerseits macht mir meine Arbeit in der Klinik große Freude, andererseits sind meine Ressourcen begrenzt. 

Darum freue ich mich sehr, dass die Klinik mir ermöglicht, von den achtzehn Stunden Abstand zu nehmen. Es gibt auch kürzere Varianten in den Diensten, und zwar sechs und zwölf Stunden. Diese Dienste sind zwar an den Wochenenden, aber lieber kurz und hin und wieder eine sechs-Tage-Woche als nicht mehr aufstehen können. 

Dies hat sicher auch mit meinem Alter zu tun. Mit sechzig eine Facharztweiterbildung zu beginnen, ist spannend und schön und so ganz nebenher auch eine hervorragende Präventionsmaßnahme gegen Demenz (Alt vom 11 Nov 2024). Auch hier freue ich mich, dass die Klinik mir das ermöglicht. Allerdings gehe ich auch nicht nehr auf Techno-Parties, die länger als zwölf Stunden dauern. 

Dann werde ich also weiter an meiner Rekonvaleszenz arbeiten und eine Woche später als geplant Leg 4 meiner Weiterbidung beginnen. Leg ist ein Abschnitt in einer Segelregatta (First Leg vom 01 Jan 2025; von Leg 2 erzählt Akut vom 04 Feb 2025). 

Seit dem 01 September ist mein Einsatzort nicht mehr eine Therapiestation für Depressionen und Lebenskrisen (Leg 3, Selbstmanagement vom 03 August 2025), sondern eine offen geführte allgemeinpsychiatrische Aufnahmestation für Akutbehandlungen. Klingt spannend. Und nun noch ein paar Übungen für den Rücken durchführen.  

 

Der Neurologe hat mich übrigens als beweglich und fit bezeichnet. Er meinte wohl meine Verfassung abgesehen von "ich habe Rücken", er hatte mich zuvor bereits immer mal getroffen. 

Christa Weßel - Donnerstag, 04 September 2025 

 

Lesestoff

WHO World Health Organization. The Ottawa Charter for Health Promotion. First International Conference on Health Promotion, Ottawa, 21 November 1986. - https://www.who.int/teams/health-promotion/enhanced-wellbeing/first-global-conference (accessed 04 Sep 2025)

Über den Dichter Heinz Kaahlow


Außerdem habe ich Sofa und Bett als Lese-, Lausch- (Podcasts und Co) und Lernort entdeckt. Anlass die Resources for Psychiatry ein wenig zu ergänzen.