· 

Lernen ... Zeit.Raum.Wertschätzung

Un-Lust

Gerade letzteres ist nicht immer einfach, wenn ich mich als Dozentin mit einer Wand von Unlust konfrontiert sehe. Das ist zum Glück sehr selten, und dadurch umso bemerkenswerter.


Im Folgenden soll es um zwei Lernveranstaltungen ganz verschiedener Art gehen. (Ich schreibe mit Absicht Ler"n"veranstaltung: die Lernenden, nicht die Lehrenden stehen im Mittelpunkt guter Didaktik.)

 

Lernveranstaltung A

Eine Gruppe von neun Coaches mit elf bis dreißig Jahren Berufserfahrung, die sich zusammen gefunden hatten, um etwas über das "Lebenslange Lernen und die Chance 'Digital Natives'" zu lernen. Diese Menschen waren freiwillig da, bezahlten für die Lernveranstaltung, wendeten ihre Freizeit dafür auf und - am wichtigsten - wollten etwas über das Thema lernen. Sie wussten, dass gutes Lernen nur mit ihrer eigenen Aktivität möglich ist.

 

Lernveranstaltung B

Eine Gruppe von siebzehn Studierenden im zweiten Studien- und Ausbildungsjahr, die an der Veranstaltung "Wissenschaftliches Arbeiten" teilnahmen, weil sie auf dem Studienplan steht. Die einen Leistungsnachweis erbringen, weil sie sonst letztlich Gefahr laufen, das Studium und somit ihre Duale Ausbildung nicht erfolgreich beenden zu können. Die vor allem von "Vorlesung" sprechen und zunächst einmal von ihnen unbekannten Dozenten einen Unterricht in Bankreihen mit vielen Powerpoint-Präsentationen erwarten. Es kam anders. Sie mussten und wurden aktiv. Sie wurden vor allem auch in den "Hausaufgaben" und der Nutzung der eLearning-Plattform aktiv. Doch was funktionierte nicht gut?

 

Die Arbeit im Präsenzunterricht war schleppend und von langsamen unlustigen Bewegungen und Äußerungen geprägt. Der Umgangston der Studierenden untereinander war eher der von Schülern als von Studierenden. Die Art sich zu kleiden und zu verhalten, entsprach eher einer Freizeitveranstaltung als einem Teil ihres Jobs, denn das ist das Duale Studium, ein Job, für den die Studierenden sich einschreiben und einen Arbeitsvertrag unterzeichnen (Professionell Studieren).


In dieser Form begegnete mir das zum ersten Mal nach etlichen Jahren an Universitäten, Hochschulen und Dualen Hochschulen.

 

Unterfordert überfordert?

War es das Wetter? Die Fußball-WM? Waren sie über- oder unterfordert? Oder gibt es einfach Gruppen, die "keine Lust haben"? Wenn ja, wie entsteht so etwas?


Tatsache ist, dass der Studienplan zeitlich überfrachtet ist. Zum System der Bolgona-Reform mit Bachelor und Masterstudiengängen gehört die Leistungsbemessung nach Credit Points. In diesem System werden für eine Stunde Präsenzstudium eine bis eineinhalb Stunden Selbststudium kalkuliert.


Studierende an Dualen Hochschulen haben im Wechsel ungefähr zwölf Wochen Praxisphase im Unternehmen mit einer vierzig-Stunden-Woche und zwölf Wochen Studienphase. Diese setzte sich bei dieser Gruppe (und in ähnlicher Form bei anderen Gruppen, die ich unterrichtet habe) wie folgt zusammen: 350 Stunden in 50 Unterrichtstagen, unregelmäßig verteilt über zwölf Wochen. Die unregelmäßige Verteilung kommt durch Feiertage, Abwesenheiten von Dozenten und Prüfungsphasen, die auch noch hinein müssen, zustande.


Dies entspricht im Durchschnitt 27,5 Stunden Präsenzunterricht pro Woche. Würden sie auch nur eine Stunde Selbststudium pro Präsenzstunde investieren - hinzu kommt das Lernen für Klausuren und das Schreiben von Seminar- und Praxisarbeiten - kommen sie auf 55 Stunden pro Woche. Arbeitsrechtlich sind 48 Stunden das Maximum.
Wie können Studierende damit umgehen? Sie müssen sehr zielgerichtet arbeiten und weglassen, was sie irgend weglassen können.


Meine Antwort als Dozentin auf eine solche Überfrachtung des Studienplanes lautet kompetenzorientiertes Lernen und Arbeiten der Gruppen auch in den Lernveranstaltungen an ihrem Fall. Bislang ist dieses Konzept aufgegangen. Nur nicht ganz zu meiner Zufriedenheit bei dieser Gruppe.


Ich vermute, es waren Wetter, Fußball-WM und totale Unlust bei einigen, die die anderen angesteckt haben - denn die Arbeit in kleinen Gruppen und mit der eLearning-Plattform funktionierte. Die totale Unlust rührt eventuell von Unterforderung her. Denn gerade die pfiffigsten strahlten sie mit jeder Zelle aus.


Also habe ich wieder einmal viel von den Studierenden lernen können. Never underestimate your student. Sie können mehr als sie selbst und manchmal auch ich annehme. Schlussfolgerung für die folgenden Lernveranstaltungen: wieder stärker Fall-orientiertes Lernen (das kam hier etwas zu kurz) und die Anforderungen höher stellen - an die Studierenden und an mich.

 

Christa Weßel - Samstag, 5. Juli 2014

 

Blogrubrik Lernen & Lehren

 

Thesis Coaching   heute   Autor sein >