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Kulturanalyse

Verstehen, wie Klient und Organisation "ticken"

Eisberg

Derzeit erlebe ich eine enge Verwebung von Schreiben, interkollegialem Austausch, Lernen und Lehren. Vor gut zwei Wochen war es das Gespräch mit einer Kollegin im Park (Blog vom 04.08.2015) zum Thema Appreciative Inquiry. Vor zwei Tagen ging es im interkollegialen Austausch um Projektanalysen. Vor knapp einem Jahr wurde ich in diesen Kreis eingeladen. Eine Gruppe von Beratern, die vor allem im Thema Projektmanagement unterwegs sind, trifft sich einmal im Monat und bildet sich gegenseitig fort. Ich hatte als Ergänzung zur klassischen betriebswirtschaftlichen Analyse für ein Projekt eine Kulturanalyse vorgeschlagen.

Wir wollten verstehen, warum der Klient eines Projektes nur einen Teil der vom Berater entwickelten Lösungen in seine Arbeit übernommen hat. Ich habe gezögert "der vom Berater entwickelten Lösungen" zu schreiben, da meine Philosophie etwas anders aussieht: "Der Klient kennt die Lösung ..." (Blog vom 23.07.2015).

Die Kolleginnen und Kollegen haben sich sehr offen und reflektiert auf diesen für sie noch nicht so bekannten Weg eingelassen. Anhand des Projekts haben der Berater und ich ein Coachinggespräch vor der Gruppe geführt. In der Gruppe haben wir dann "Facts and Feelings" und Modelle untersucht, die dahinter stehen können. Wir haben mit Material gearbeitet, das in der derzeitigen Ausgabe von "Basiswissen Consulting" in seinen Grundzügen erläutert ist. Hinzu werden in der Neuausgabe vier Annahmen kommen, die als Arbeitsgrundlage für Kulturanalysen dienen können. Bis die Neuausgabe erscheint, kann noch einige Zeit vergehen, also stelle ich Ihnen hier - aus dem Manuskript - vor, wie Sie vorgehen können, um zu verstehen wie der Klient "tickt". Ein Diplomand in meiner Forschungsgruppe in der medizinischen Informatik an der RWTH Aachen prägte eines unserer Projektmottos: "Wir wollen wissen, wie ein Krankenhaus tickt." Die Geschichte dazu können Sie [25.01.2018] im Band 2 Menschen (Kapitel "Go Web ..") und ihre Fortsetzung im Band 4 Entdecken (Kapitel "Im Labor") der Buchreihe Elche fangen ... Basiswissen Consulting für Berater und Führungskräfte nachlesen.

Doch nun zu "Den Klienten verstehen".


Um den Klienten gut beraten zu können, müssen Berater ihn verstehen. Unternehmen sind - wie gesagt - soziotechnische Systeme, die sich gut durch die Untersuchung von Rollen, Aufgaben, Machtbefugnissen, Interessen, Beziehungen und Handlungsmustern erschließen lassen.


Dies erfordert Offenheit, Unvoreingenommenheit und Neutralität. Also sollten Berater sich ihrer eigenen Unzulänglichkeiten bewusst sein. Eine Kollegin, die vor allem als Coach arbeitet, beschreibt dies als Demut (S Franz). In der qualitativen Forschung nennt sich dies das eigene Vorverständnis formulieren. Im [25.01.2018] Band Beraten beschreibt Abschnitt 7.6, wie Sie dabei vorgehen können. Folgende Annahmen können Berater unterstützen, den Klienten zu verstehen:

  • Berater laufen Gefahr, den Klienten nicht zu hören, sondern vor allem eigene Botschaften und Lösungen zu verkünden. In der Kommunikationstheorie hat Paul Watzlawick hierzu fünf Axiome geprägt, unter anderem das der symmetrischen und der komplementären Kommunikationsabläufe. Hierauf geht das Kapitel "Miteinander reden" genauer ein.
  • Berater übernehmen Denk- und Verhaltensmuster des Klienten. In der Psychologie nennt sich dies Übertragung.
  • Berater gehen davon aus, dass Klienten Lösungen wollen. Doch darum geht es nur vordergründig. Dahinter stecken Werte, Normen, Visionen, Ziele und die Arten, wie das Unternehmen Entscheidungen trifft. Um - wie im Kapitel "Ziele und Strategien entwickeln" beschrieben - einen Zugang zum Klienten zu finden, verwende ich gerne das Bild der Druse: außen der vordergründige Alltag, innen die "Schätze".
  • In der Zusammenarbeit geht es nur zu einem kleinen Teil um Fakten. Den weitaus größeren Anteil bilden soziale Beziehungen und Gefühle. In der Kommunikationstheorie und im Konfliktmanagement ist dazu das Eisberg-Modell entstanden. Nur der kleinere Teil, die Fakten, sind oberhalb der Meeresoberfläche und somit leicht zu erkennen - relativ leicht, wie das Beispiel Titanic zeigt.

Die Untersuchung von Rollen, Aufgaben, Machtbefugnissen, Interessen, Beziehungen und Handlungsmustern im Unternehmen des Klienten sollte mit Fokus auf das anstehende oder laufende Projekt erfolgen. Folgende Fragen sind darin nützlich:

  • Wer - beim Klienten und bei den Beratern - hat welche Rolle, Aufgaben, Machtbefugnisse und Interessen? Vordergründig und hintergründig.
  • Wer steht zu wem in welcher Beziehung? Formell und informell. Tipp: Skizzieren Sie ein Netz mit Knoten, den Menschen, und Linien, den Beziehungen.
  • Wie ist der Austausch, die Kommunikation organisiert? Formell und informell.
    • Beim Klienten allgemein und in Bezug auf dieses Projekt, intern und zum Berater.
    • In der Beratungsfirma allgemein und in Bezug auf dieses Projekt und zum Klienten.
  • Wie erfolgen Entscheidungen? Wer wann mit wem?
  • Wie werden sie dokumentiert und umgesetzt? Wer wann mit wem?
  • Wie werden Umsetzungen kontrolliert und gesteuert? Wer wann mit wem?

Die Fragen beziehen sich sowohl auf das Unternehmen des Klienten, als auch des Beraters, da Berater die Muster ihrer Klienten übernehmen (können). Indem Berater beide Organisationen untersuchen, können sie erkennen, wo die Berater dem Klienten ähneln oder sich angleichen und wo nicht. Diesen Fragenkatalog können Berater in folgenden Schritten bearbeiten:

  1. Fragen formulieren.
  2. Analyse öffentlicher und auch intern in der Beratungsfirma und beim Klienten zugänglicher Informationen: Internetauftritte, Geschäfts- und Projektberichte, …
  3. Fragen ergänzen.
  4. Auswahl von und Kontaktaufnahme zu Gesprächspartnern - unter anderem sind dies der Auftraggeber, ein interner Ansprechpartner, Projektleiter und/oder Verantwortlicher, in dessen Bereich oder Abteilung das Beratungsprojekt angesiedelt ist.
  5. Beobachtungen und Interviews oder gleich ein Walk and Talk.

"Walk and Talk" ist eine Mischung aus Gesprächen, Begehungen, Beobachtungen und Workshops, die vor allem für Kulturanalysen geeignet sind, wie sie der folgende Abschnitt beschreibt (Blog vom 08.10.2014). Ein Walk and Talk eignet sich außerdem für die Untersuchung von Projekten, Arbeitsklima, Nutzer- und Kundenbedürfnissen und vielem mehr.
In der Auswahl der Gesprächspartner im Schritt (4) sollten Sie den Fokus auf Menschen legen, die etwas zum Unternehmen, der Geschichte des Projekts und zum Inhalt des Auftrags sagen können und wollen. Im Schritt (5) sollten Sie Ihr Augenmerk vor allem auf Werte, Normen, Ziele, Entscheidungen, soziale Beziehungen mit Rollen, Aufgaben, Macht und Interessen richten.


Wenn Sie dem pars-pro-toto-Prinzip (lateinisch: ein Teil  - spricht - für das Ganze) folgen wollen, können Sie zum Beispiel eine Routinebesprechung verfolgen:

  • Häufigkeit, Dauer, Zeitpunkt: Zum Beispiel wöchentlich, eine Stunde, montags von 10 bis elf Uhr.
  • Verlauf: Zum Beispiel moderiert mit Einleitung, Themen-Agenda und Schluss.
  • Konzentration: Die Beteiligten sprechen über das Thema, schweifen nicht ab.
  • Kommunikation: Zum Beispiel wertschätzend, offen, zuhörend oder profiliert, laut, schnell?
  • Entscheidungen: Hierarchisch oder im Konsens; erfolgen sie überhaupt in der Besprechung oder eher informell?
  • Dokumentation: Gibt es sie? In welcher Qualität? Verwenden die Beteiligten sie für ihre Arbeit?
  • Reflexion: Denken die Teilnehmer über ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit in der Besprechung nach. Letzteres muss nicht in jedem Treffen erfolgen, also lässt sich aus der Beobachtung einer Besprechung hierzu wenig sagen.

Daten erheben Sie - wie gesagt - durch die Untersuchung von Internet- und Intranetauftritten, Geschäftsberichten und anderen Dokumenten, Beobachtungen, Gesprächen und Interviews und in Fragebogenaktionen.
Bei den Gesprächen mit dem Auftraggeber und seinen Mitarbeitern ist zu überlegen, ob und welche als Interviews erfolgen sollten. Leitfaden gestützte, aufgezeichnete und sorgfältig ausgewertete Interviews enthalten einen Schatz von Informationen und Ideen zur Bearbeitung von Problemen und Aufgaben. In Workshops können Berater mit Mitarbeitern des Klienten Analysen gemeinsam durchführen.

 

Tipp: Daten individuell erheben - Organisationsanalysen folgen gewissen Grundsätzen. Schneiden Sie sie jeweils auf den Klienten, den Auftrag und den Kontext, die Branche, zu. Keine Analyse gleicht der anderen, ebenso wenig wie ein Klient einem anderen ganz entspricht.

 

Wenn Sie die in diesem Abschnitt vorgestellten Fragen in eine Kulturanalyse einfließen lassen, wie sie der folgende Abschnitt beschreibt, können Sie ein sehr umfassendes Bild von einem Unternehmen erhalten. Umfassend, aber nicht unbedingt vollständig. Dessen sollten sich Berater stets bewusst sein.


Christa Weßel - Donnerstag, 27. August 2015

Hier genannte Quellen:

  • Franz S. Demut als Haltung im Coaching. Master-Thesis. Frankfurt University of Applied Sciences, Studiengang Beratung in der Arbeitswelt - Coaching, Supervision und Organisationsberatung 2015.
  • Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD. Menschliche Kommunikation. Stuttgart, Huber 1969.
  • [25.01.2018] Weßel C. Elche fangen ... Basiswissen Consulting für Berater und Führungskräfte. Band 1 bis 4. Frankfurt am Main, Weidenborn Verlag 2017.

Blogrubrik Organisationsentwicklung

 

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