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Encounters 2

Drei inspirierende Bücher

encounters

Morphet R. Encounters: New Art from Old. First published in Great Britain to accompany an exhibition at the National Gallery, London 14 June - 17 September. © 2000 National Gallery Company Limited - ISBN 1 85709 294 5.

Im April letzten Jahres hatte ich von drei Begegnungen, encounters, mit Menschen berichtet (Blog vom 11.04.2015). Heute soll es um drei Bücher gehen.

Eigentlich bedeutet encounter  "a meeting with a person or thing, especially a casual, unexpected, or brief meeting" (http://dictionary.reference.com/browse/encounter). Kurz sind die Begegnungen mit diesen Büchern nicht. Joachim Schneiders "Supervision" begleitet mich seit 11 Jahren. Ebenso wie in diesem Buch werde ich sicher auch in den beiden anderen, von denen hier auch die Rede sein soll, immer wieder lesen. Bruno-Paul de Roecks "Gras unter meinen Füßen" und Antje Abrams "Gestalttherapie".

 

Bücher auch jenseits von Gestalt

Für die im letzten Herbst begonnenen Gestalt-Ausbildung packte die Buchhändlerin im Dezember den ersten Stapel der Bücher auf den Tisch, mit die mich in den nächsten Jahren begleiten werden (Blog vom 09.12.2015).

Die Ausbildung hat vier Säulen: Die Präsenzseminare des Gestalt-Instituts Frankfurt am Main, die Lehrtherapie, das Selbststudium und die Peer Group. Im letzten Seminar vor zwei Wochen haben wir Peer Groups gebildet. Meine drei Peers, zwei Frauen und ein Mann, und ich werden uns im Abstand einiger Wochen immer wieder treffen und miteinander lernen. Dazu gehört auch, uns über unsere Literaturstudien auszutauschen. Außerdem wollen wir natürlich gestalten, Gestalt ausprobieren. Ganz wie Medizinstudierende, die sich gegenseitig untersuchen und Blut abnehmen, bevor echte Klienten auf zu uns zukommen.

Zunächst habe ich einen Faden wieder aufgenommen. Den der Supervision. 2005 habe ich Joachim Schneiders "Supervision" gekauft und gelesen, weil ich meine Erfahrungen aus der klinischen Zeit mit Supervision auffrischen wollte. Sie flossen ein in die Leitung meiner Forschungsgruppe an der RWTH Aachen und die Betreuung der Studierenden und Doktoranden in ihren Arbeiten. Durch sie bin ich zum Coaching gekommen. Ein Kollege brachte mich darauf. Er fragte: "Christa, weißt du eigentlich, was du mit den Studierenden machst?" - "?" - "Du coachst sie." Ich habe nachgelesen, gemerkt, es stimmt, und meiner Praxis dann auch Theorie folgen lassen: Bücher, Workshops und interkollegiale Supervision. Die Geschichte dazu finden Sie [25.01.2018] im Band Menschen der Buchreihe Elche fangen ... , Kapitel "Go Web ..."

 

Schneider: Supervision

Es ist ein kurzes, klares und sehr umfassendes Buch mit sehr guten Beispielen, Übungen und Arbeitsblättern. Supervision ist vor allem Lernen. Lernen ist Neugier, Freude, Entwicklung, Kontakt und Austausch. Lernen ist ein Prozess und Supervision ist es auch - ebenso wie Gestalt-Beratung und -Therapie.

Supervision ist ressourcenorientiert und hat im Fokus, das berufliche Können zu entwickeln und zu erweitern. Dazu gehört auch die persönliche Entwicklung. In der Supervision von Gruppen und Teams bis hin zu ganzen Organisationen geht es ebenfalls um ihre Entwicklung. Schneider subsumiert Organisationsentwicklung übrigens unter Supervision von Organisationen. Spannend.

Schneider stellt noch weitere Modelle vor. Ein in meinen Augen sehr nützliches Modell ist das der Prozesssteuerung. Im Zentrum steht das berufliche Können. Um diesen gruppieren sich Person, Praxis, Kontext und Modelle. Fragen zur Person handeln von Gefühlen und Erfahrungen. Auch Ethik gehört dazu. In der Praxis geht es um Taten und Möglichkeiten. Der Kontext behandelt die Umgebung, beispielsweise das Unternehmen. Modelle beschreiben Gedanken, Bewertungen und Möglichkeiten. Eingerahmt wird das Ganze durch das Definieren und Besetzen von Rollen.

Schneider regt an zu fragen "Warum bin ich jetzt hier?" und empfiehlt, kurz innezuhalten, wenn ein Rollenwechsel stattfindet. Meine Rollen - wahrscheinlich kennen Sie das - wechseln innerhalb von Stunden und manchmal in noch kürzeren Intervallen: Coach, Beraterin, Lehrende, Lernende, Autorin, Reviewerin, Seglerin, ...

Dann sollte man sich fragen "Um welche Rolle des Klienten geht es gerade?" Ist sie oder er Manager, Freiberufler, Dozent, Studierender, Autor, Skipper, ...

Ebenfalls inspirierend in diesem Buch sind die Phasen- und Entwicklungsmodelle. Am interessantesten - auch für Consultants und Unternehmensberater - finde ich den Vertragsprozess.

In Beratungsprojekten, im Coaching, in der Supervision, aber auch als Führungskraft oder Projektmanager innerhalb eines Unternehmens ist es wichtig zu klären, welche Parteien beteiligt sind, wie sie zueinander stehen und wer welche Verpflichtungen und Rechte hat.

Wenn ein Berater mit einem Team an dessen Entwicklung arbeitet, ist die dritte Partei die Unternehmens- oder Bereichsleitung. Sie ist der Auftraggeber. Hier handelt es sich also um einen dreiseitigen Vertrag.

 

Vertrag 3 Seiten

o Berater erhält vom Auftraggeber Honorar für Leistung Teamentwicklung.
o Team erhält vom Berater Wissen und Können für aktive Beteiligung.
o Auftraggeber erhält vom Team (Mitarbeiter) Teilnahme an Maßnahme zur Weiterbildung und -Entwicklung für Lohn und Gehalt.

Mitarbeiter verpflichten sich in der Regel im Arbeitsvertrag zur aktiven Teilnahme an Maßnahmen zur Weiterbildung und -Entwicklung.

Wichtig ist, als Berater mit dem Team beim ersten Treffen zu klären, wie dieser dreiseitige Vertrag aussieht, wer welche Leistungen erbringt und zu verdeutlichen, dass der Berater, insbesondere Supervisoren und Coaches, die Arbeit mit dem Team vertraulich behandeln. Sie geben keine Rückmeldungen an den Auftraggeber zu einzelnen Teilnehmern und Problemen.

Nach Schneider ging es dann endlich los mit den Gestalt-Büchern im engeren Sinn. Ich beginne ein neues Thema meist mit leichter Lektüre und einführenden, kurzen Übersichtsbüchern.

 

De Roeck: Gras unter meinen Füßen

Bruno-Paul de Roeck führt auf eine humorvolle, demütige und souveräne Art in die Gestalt-Therapie ein. Er erzählt von sich, auch sehr persönlich. Wunderbar ist der Abschnitt "Wir Neurotiker" im Zweiten Teil, der ebenfalls "Wir Neurotiker" heißt.

(Kurze Anmerkung: im Weiteren spreche ich einfach nur von "Gestalt", nicht Psychologie, Therapie, und auch nicht Beratung. Ich bin sicher, Sie erkennen, was gemeint ist.)

In der Gestalt geht es - wie in der Supervision und in guter Beratung - um Kontakt. Um den Kontakt des Klienten zu sich selbst und den Kontakt, die Beziehung zwischen Klient und Gestalt- Berater, Coach, Supervisor oder Therapeut. Gestalt ist ein Prozess. Der Klient bestimmt Inhalt und Thema. Der Berater, Coach, Supervisor oder Therapeut ist Begleiter. Er ist für die Qualität des Prozesses verantwortlich. Er stellt sicher, dass der Klient seine Themen bearbeiten, lernen und sich entwickeln kann. Natürlich geht das nicht ohne das Wollen und die Mitwirkung des Klienten.

(Darum habe ich das Gefühl, in Gestalt nach Hause zu kommen. In "Basiswissen Consulting" habe ich Beratung so beschrieben.)

Dazu ist es wichtig, als Gestalt- Berater, Coach, Supervisor oder Therapeut zu wissen, worum es sich handelt bei Introjektion (Herunterschlucken), Projektion (bei ET Hall in "Beyond Culture" auch dissociation - siehe Blog vom 19.01.2016. Dort zitiere ich "The trouble I have with him is me"), Retroflexion (nur mit sich selbst umgehen, stark verkürzt gesagt), Konfluenz (Verschmelzung wie zum Beispiel Unterwerfung in einer Partnerschaft, Mitläufertum, Überidentifikation mit einer Gruppe, Bewegung oder Organisation).

Gestalt ist ein Wachstumsprozess, ein Prozess des Lernens. De Roeck erläutert die Stadien Klischee, Rolle, Ausweglosigkeit, Implosion und Explosion - letzteres im Sinne einer Katharsis oder Geburt.

Die Schritte im Gestaltprozess sind manchmal sehr klein. Es geht um Bewusstwerden und -sein (awareness bei De Roeck, consciousness bei Abram), um das Entdecken der Bedürfnisse des Klienten, um blinde Flecken (was nehmen wir nicht wahr?), um den notwendigen Schmerz (Frustration) und um das Wählen.

Wenn wir Muster in unserem Fühlen, Denken und Verhalten erkennen, die vielleicht einmal früher nützlich oder sogar überlebenswichtig für uns waren, die wir aber jetzt nicht mehr brauchen, können wir wählen: machen wir so weiter oder verändern wir uns.

Ein nützlicher Abschnitt für Berater ist auch der Abschnitt "Der unwillige Klient". Ich glaube, jedem von uns ist schon mal einer begegnet. Einer?

Weiter ging es mit der Einführung von Antje Abram ins Thema.

 

Abram: Gestalttherapie

Klassisch aufgebaut, eingängig zu lesen mit sehr guten Beispielen und Übungen. Ein Satz im Schlusswort bringt es auf den Punkt: Gestalttherapie ist Kontakt.

Abram vermittelt einen guten Überblick über geschichtliche Hintergründe zu Gestalt und zu anderen Psychotherapierichtungen. Sie beschreibt Psychoanalyse (diese nicht als eigenen Abschnitt sondern immer mal wieder im Verlauf), Psychodrama, systemische Therapie, Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie und einige mehr bis hin zur Tanztherapie.

Auch die zentralen Konzepte der Gestalt sind ihr sehr gut gelungen. Besonders hervorheben möchte ich die Ausführungen zu Figur-Grund und zu Gewahrsein (awareness), Achtsamkeit und Bewusstheit (consciousness).

Sie entwickelt sehr gut die zentralen Konzepte von Gestalt von der Haltung des Therapeuten über den Fokus auf dem Hier und Jetzt, dem Gehen mit dem, was gerade ist, der Bedeutung sprachlicher Formulierungen bis hin zum Ressourcenorientierten Arbeiten: alles was der Klient braucht, um sein Leben zu gestalten, ist in ihm vorhanden. Es geht darum, dies freizulegen. (Wie in "Der Klient kennt die Lösung" in "Basiswissen Consulting" .

Bei den Techniken der Gestalttherapie hat mich der Abschnitt "Kreative Medien nutzen" zu einer Einkaufsliste für einen Gestalt-Raum angeregt. Falls es im Coaching mal nicht mehr beim Spazierengehen bleibt.

Empfehlung: machen Sie die Experimente, die Antje Adam im letzten Kapitel zusammengestellt hat. Inspirierend, nachdenklich stimmend und sehr unterhaltsam.

 

Und nun die Bitte an meine Mitlernenden

(und gerne auch an andere Leserinnen und Leser)
Wenn Euch etwas auffällt, das ich besser oder anders ausdrücken sollte oder ergänzen oder weglassen sollte, schreibt mir. Oder erzählt es mir bei unserem nächsten Treffen.

Christa Weßel - Sonntag, 21. Februar 2016

Die hier besprochenen Bücher

  • Schneider J. Supervision. Supervidieren und Beraten lernen. 2. Auflage. Paderborn, Junfermann 2001. ISBN-13: 978-3873874183
  • de Roeck BP. Gras unter meinen Füßen: Eine ungewöhnliche Einführung in die Gestalttherapie. Übersetzung: Raatschen H. 22. Auflage. rororo 1985. ISBN-13: 978-0061719615
  • Abram A. Gestalttherapie: Therapeutische Skills kompakt, Bd. 5. Paderborn, Junfermann 2013. ISBN-13: 978-3873879522

Die erwähnten Geschichten

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