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Ein Angebot kalkulieren

Vom großen Bild ins Detail

Nach etwas mehr als einem Jahr Besuch bei einem Bekannten, der ein Tausendsassa als Umzugsprofi und Handwerker ist. Eine seiner besonderen Fähigkeiten: Haussanierungen, schnell, gut und mit einem oder zwei Mitstreitern. Schon bevor der erste Kaffee des Nachmittages auf dem Tisch stand: "Wenn ich das vom Tisch habe, kann das Wochenende beginnen." Es war früher Samstagnachmittag. "Worum geht's?" - "Ein Angebot für eine Hausentkernung, ein altes hundertsechzig Quadratmeter-Haus. Mit allem Drum und Dran. Fußböden, bei denen ich ungefähr ahne, wie viele Lagen und Klebstoff darin sind, Heizungen samt Rohren raus, Tapeten und Co plus die eine oder andere Wand. Und dafür will der Auftraggeber ein detailliertes Angebot." - "?" - "Und ich habe mir den Kopf heißgerechnet. Tagelang. Jede Aufgabe und fast jeden Raum einzeln." - "Vom Detail zum Gesamten?" - "Genau." - "Hast du Lust, etwas auszuprobieren?" - "Was?" - "Mal sehen, wie lange wir beide für das Angebot brauchen." - "Okay?!" 

 

Vor dem Rechnen gibt es ein paar Fragen zu beantworten

Will ich den Auftrag?

> Ist der Auftraggeber zuverlässig und klar in seinen Anforderungen? Anders ausgedrückt: oder erwartest du "da wäre außerdem noch …", "so habe ich das aber nicht gemeint"

> Ist der Auftraggeber ein Multiplikator? Sprich: kann er dir weitere Aufträge geben und dich anderen empfehlen?

 

(Seine Anwort: ja, ich will)

 

Brauche ich den Auftrag?

> Unbedingt

> Wäre nützlich

> Nein

 

(Seine Antwort: wäre nützlich)

 

Welche Zeitspanne erwartest du für die anfallenden Arbeiten insgesamt?

> Von "Schlüssel zum Haus erhalten" bis zur Rückgabe, sprich Abnahme.

 

Sein Kommentar: "Aber ich arbeite doch nicht die ganzen Wochen nur an diesem Haus. Mal gehe ich früher - oder bleibe länger. Mal sind ein paar Tage Pause."

 

Mein Kommentar: "Selbständige (Handwerker, Freiberufler) arbeiten intensiv am Stück, gehen nach Hause, ruhen sich aus, machen sich auch dort weiter Gedanken über das Projekt. Anders sieht es bei Menschen im Job aus. Dort geht es von x Uhr bis y Uhr. Inklusive Ausruhen und Socializing. Schnack und Co. Das ist okay." 

 

Sein Kommentar: "Okay, kann ich nachvollziehen."

 

Gut, los geht's

Wochen * 1 Person, bzw. 1,5 (wenn ein weiterer Mensch zum Teil dabei ist), oder 2 usw.

 

* Wochenstunden 

* Lohn, inklusive Lohnnebenkosten

 

= Summe Personal

 

+ von dieser Summe 10% jeweils für

 

Betrieb: Geräte, inkl. Abnutzung, Gebäude, Versicherungen etc.

Gewinn

 

= Summe Netto

 

+ Umsatzsteuer

 

Material geht extra.

 

Für das alte Haus haben wir herausgefunden:

 

9.600 Euro Personal (6 Wochen * 40 Std * 40 Euro)

+ 960 Euro Betrieb

+ 960 Euro Gewinn

= ungefähr 12.000 Euro plus USt

 

_plus_ Material

 

 

Diese Zahl ermittelten wir nach fünf Minuten. Sein Kommentar: "Oh, das ist auch ungefähr meine Zahl. Ich habe nur deutlich länger gebraucht. Allerdings will der Auftraggeber für jede Aufgabe eine Aufstellung, damit er den Auftrag eventuell teilen kann."

 

"Prima. Das machst du genauso. Du schätzt wieder." - Er: "Und zwar den ungefähren Anteil der Zeiten." - "Ja. Denn später ist es unwahrscheinlich, dass jemand die Stoppuhr rausholt und misst, wie lange ihr für die Tapeten und die Fußböden jeweils gebraucht habt. 

 

Ein Angebot ist eine Geschichte. Der Auftraggeber möchte sich ein Bild machen, was ihn erwartet."

 

Sein Kommentar: "Das lasse ich mir durch den Kopf gehen. Werde es auf jeden Fall ausprobieren. "

 

"Eine Frage möchte ich dir außerdem stellen." - "Okay." - "Wofür stehst du mit deiner Arbeit." - "?" - "Masse oder Klasse? Billig oder Qualität?" - "Qualität. Nur dann kann ich davon leben, weil ich weitere Aufträge bekomme." - "Das gehört auch zur Geschichte, sprich in die Zahlen deines Angebotes." Er grinst und nickt. Typischer Fall von Eulen nach Athen tragen. Klar wusste er: nicht billig, sondern angemessene Honorare.

 

Diese - wir wir im Norden gerne sagen Pi-mal-Daumen-Kalkulation - können Sie auch mit etwas andere Zahlen durchführen. Die Deutsche Handwerkzeitung hat dazu einen Artikel online gestellt (DHZ 21 April 2021). 

 

Der Wert von Schätzungen

Das Prinzip einer solchen Kalkulation ist die Schätzung durch Experten, sprich Menschen, die etwas von einem Thema verstehen. Warum Schätzungen so zuverlässig sind und welche betriebswirtschaftlichen Theorien diesen zugrunde liegen und wie Sie Schätzungen durchführen können, erzählen die Bücher Entdecken und Beraten.

 

Die Kalkulation von Projekten in der Organisationsentwicklung (Beratung, Coaching, Seminare) erfolgt ein wenig anders. Wie dies jenseits von Tages- oder Stundensätzen für alle Beteiligten (Unternehmen, Klienten und Berater) fair erfolgen kann, schildern ebenfalls diese beiden Bücher.

 

Nach der dritten Tasse Kaffee und etlichen leckeren Keksen wusste ich dann auch, wie ich die Platte aus unbehandeltem Buchenholz für meine Küche bearbeite und pflege. Aus dem Baumarkt geholt haben wir sie dann auch noch zusammen. Wer hat hier eigentlich wen beraten? 

 

Christa Weßel - Montag, 26 Apr 2021

 

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