· 

Ein Honorar vereinbaren

Was Coaches und Berater im Hintergrund leisten

Das Kalkulieren eines Angebotes ist das Eine. Im Bereich des Handwerkes oder als Beraterin in der Organisationsentwicklung ist es relativ einfach, wie ich finde. Die Kunden und Klienten können gut mit Pauschalen und Gesamthonoraren leben. Anders sieht es in der Verhandlung mit möglichen Coaching-Klienten aus. Sie "fremdeln".

 

Darum berichte ich an dieser Stelle zunächst, wie es sich mit Gesamthonoraren in der Organisationsentwicklung verhält (für das Handwerk siehe Blog 26 Apr 2021 Ein Angebot kalkulieren). Anschließend geht es um Gesamthonorare im Coaching.

 

Organisationsentwicklung

Als Organisationsentwicklerin begleite ich  Unternehmen in Veränderungen. Dazu zählen Strategieentwicklung und Neuausrichtung, Unternehmensgründung und -Nachfolge, Zusammenarbeit, Teambildung und -Entwicklung sowie der Umgang mit äußeren Veränderungen, einschließlich wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen wie sie eine Pandemie mit sich bringen kann. Unternehmen und andere Organisationen, mit denen ich zusammenarbeite, kommen aus zahlreichen Branchen, vor allem aus den Bereichen Informationstechnologien, Finanzdienstleister, Handwerk (Elektrotechnik, Maschinenbau), Medien und Kunst sowie Gesundheitswesen und Hochschulen. 

(tosaam : Organisationsentwicklung

 

Die Auftraggeber, also der oder die Geschäftsführer des Unternehmens, sind oft gleichzeitig Inhaber. Sie sind es gewohnt, für Aufträge in Rahmenbedingungen zu denken. Dies gilt sowohl für Aufträge, die sie erlangen wollen, als auch Aufträge, die sie erteilen.

 

Dies bedeutet, dass wir in OE-Projekten in den Vorgesprächen ein Thema, ein Ziel, das Vorgehen und den Rahmen abstecken. Dazu verabreden wir ein Gesamthonorar, dessen erste Hälfte der Auftraggeber vor Beginn des Auftrages und dessen zweite Hälfte zum Abschluss inklusive Evaluation und Reflexion zahlt.

 

Ein Beispiel: Unternehmensnachfolge

Eine typische Fragestellung ist: Ich, der Inhaber und Geschäftsführer, will mich in den nächsten fünf Jahren zurückziehen. Wer kann meine Nachfolge antreten? Eine Einzelperson, ein Team, Menschen aus dem Betrieb und/oder Externe? Was ist außerdem erforderlich?

 

Ziel: Entlastung des Geschäftsführers von Alltags- und Routineaufgaben; Reorganisation der Geschäftsführung und des mittleren Management; Strategieentwicklung im Bewusstsein der Werte, Haltungen und Stärken des Unternehmens und damit der Menschen im Unternehmen.

 

Vorgehen: Begleitung durch die Organisationsentwicklerin mit den Stufen "Walk & Talk" (Organisationsanalyse) und ein bis zwei Monate später "Retreat" (Strategieentwicklung).

 

Walk & Talk

Jede Frage ist eine Intervention. Daher erfüllt der Besuch der externen Beraterin mehrere Zwecke. Die Beraterin lernt das Unternehmen kennen. Sie erstellt auf Basis dieser Exploration eine Analyse und spricht Empfehlungen zum weiteren Vorgehen  aus. Diesen Bericht erhält der Geschäftsführer.

Die Fragen der Beraterin und ihr "neuer" Blick werden bei dem Geschäftsführer und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Veränderungsprozesse auslösen, die ihnen Nutzen bringen werden.

(Buch Entdecken, 2017, S. 156 ff).

 

Retreat

In einem Retreat bearbeiten Mitglieder des Managements einmalig oder regelmäßig Fragen und Ideen zur Strategieentwicklung und anderen Themen. Als externe Beraterin moderiere ich den Retreat, unterstütze die inhaltliche Arbeit und spreche Empfehlungen aus.

Ein Kennzeichen von Retreats ist neben Denken und Sprechen das Tun. Dazu gehören auch soziale Aktivitäten außerhalb des eigentlichen Themas, beispielsweise Spaziergänge und Sport oder Musik und bildende Kunst. Dieses Eintreten in eine andere Umgebung und eine andere Welt ist ein Perspektivenwechsel, der Kreativität und Verständnis fördert.

(Buch Werkzeuge, 2017, S. 56 ff)

 

Das Gesamthonorar in der OE

Die Höhe des Gesamthonorars ist eine Mischung aus Aufwand für die Beraterin (Zeit) und aus dem Wert der OE für das Unternehmen. Dieser lässt sich aus einer Kombination von Größe und Jahresumsatz des Unternehmens sowie dem Nutzen (dies lässt sich in Geldbeträgen schätzen) ermitteln, den eine hochwertige OE für das Unternehmen haben kann. Denkbar ist für das hier skizzierte ein kleiner fünfstelliger Betrag bis hin zu sechsstelligen Beträgen. Wie gesagt, es kommt darauf an: auf das Unternehmen und die Arbeitsqualität der Organisationsentwicklerin.

 

Die Vorteile eines Gesamthonorars sind enorm:

 

Durch die Zahlung der ersten Hälfte vor Beginn der OE steigt das Engagement des Auftraggebers und seiner Mitarbeiter, in der OE mitzuwirken (das ist ein Muss für gute OE).

 

Da sich weder die Auftraggeber noch die Mitarbeiter über ein "laufendes Taxameter" (mit weiteren Honorarforderungen) Gedanken machen müssen, arbeiten sie auch in den Phasen vor und zwischen den Terminen "Walk & Talk" und "Retreat" mit der Beraterin zusammen. Sie stellen Rückfragen per e-mail oder Telefon und beantworten ihrerseits gerne und entspannt Fragen der Beraterin. Kurz: die Kommunikation läuft.

 

Coaching

Ein Mensch fragt nach Coaching, wenn er Unterstützung im Verlauf einer Veränderung sucht.

(tosaam : Coaching)

 

Coaching

ist, einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen auf der Basis eigener fachlicher, methodischer und sozialer Kompetenz darin zu unterstützen, ein privates oder berufliches Ziel zu beschreiben und in einem umschriebenen Zeitraum zu erreichen oder ein Scheitern zu erkennen und anzuerkennen und Alternativen zu entwickeln. Coaching zielt auf die berufliche und persönliche Weiterentwicklung ab und ist eine Fortbildung des Klienten. Beide, Klient und Coach lernen von- und miteinander. 

(Buch Menschen, 2017, S. 154)

 

Auch in den Vorgesprächen zu einem Coaching stecken der mögliche Klient und ich als Coach das Thema, das Ziel und den Rahmen, also das Setting des Coaching ab. Für Klienten, mit denen ich zu ersten Mal zusammenarbeite, ist meiner Erfahrung nach eine persönliche Gesprächsreihe von größtem Nutzen.

 

Natürlich kann es auch sein, dass beispielsweise im Rahmen einer Pandemie oder bei großen räumlichen Distanzen, ein Coaching via Telefon oder zoom & Co erfolgt. Dies ist im Rahmen eines Blended Coaching vor allem für eine Zusammenarbeit von Klient und Coach von Nutzen, wenn sie sich in der Vergangenheit bereits persönlich des Öfteren begegnet sind. Dies habe ich in den knapp zwanzig Jahren, in denen ich andere als Coach begleite, immer wieder so erfahren.

 

Die Honorargestaltung unterscheidet sich bei beiden Formen. Im Blended Coaching gibt es eine monatliche Dokumentation  über die Inhalte und Zeiten (Dauer) und Rechnungslegung des Coaching. Im Coaching als persönliche Gesprächsreihe gibt es ein Gesamthonorar.

 

Hier beginnt das "Fremdeln" der Coaching-Interessenten, falls sie nicht Manager und/oder Inhaber größerer Unternehmen sind. Diese - siehe oben - sind mit vier-, fünf- und sechsstelligen Honoraren im Verlauf von mehrmonatigen Beratungsprojekten vertraut.

 

Ein Beispiel: Rollenfindung

Eine typische Fragestellung im Coaching ist: Nach mehrjährigen Erfahrungen als Bereichs- und Projektleiter bin ich nun Mitglied des Managementboards (Geschäftsführung). Was bedeutet diese neue Rolle für mich? Wie kann ich sie ausfüllen? Wie arbeite ich mit Männern und Frauen zusammen, wenn ich aus einer stark männlich geprägten Thematik komme? Wie geht ich mit meinen und den Befürchtungen anderer um?

 

Ziel: Rollenidentität entwickeln; Konzepte und Methoden als Führungskraft kennenlernen und verinnerlichen; Kommunikations- und Konfliktbewältigungsstärken ausbauen; Reflexionsfähigkeit erhöhen und Reflexionen allein und mit anderen in meinen Alltag integrieren.

 

Vorgehen: Da Klient und Coach noch nie zusammen gearbeitet haben und der Klient formuliert, dass er bislang eher in Prozessen als in Strukturen und zielorientiertem Vorgehen denkt und arbeitet, empfiehlt die Coach, eine Gesprächsreihe aus sechs Terminen von jeweils neunzig Minuten in einem Abstand von ungefähr vier Wochen. Zwischen den Terminen erfolgt die Kommunikation per e-mail und Telefon, um Termine zu verabreden und Informationen auszutauschen, beispielsweise zu Literatur, Dokumentation und Rechnungen. Sollte kurzfristig seitens des Klienten Gesprächsbedarf für Reflexions- und Vertiefungsprozesse bestehen, vereinbaren Klient und Coach einen Gesprächstermin. Dieser erfolgt als persönliches Gespräch, vorzugsweise als "Walk to Talk" (Spaziergang), oder in Ausnahmefällen telefonisch. Insgesamt erstreckt sich die Begleitung über ungefähr ein halbes Jahr.

 

Bevor ich das Gesamthonorar im Coaching betrachte, muss ich auf den Aufwand für die Coach eingehen.

 

Zeit mit dem und für den Klienten

Neben der Arbeit mit dem Klienten in den Gesprächen fallen weitere Zeiten an: 

 

Anfrage, Terminverabredungen, Einarbeiten in das Gebiet des möglichen Klienten und seiner Organisation, Entwickeln eines Coachingkonzeptes für diesen möglichen Klienten, Vorbereitung und Durchführung des Vorgesprächs, Wege (Fahrten), Reflexion des Gesprächs, Dokumentation. 

 

Und dann geht es weiter mit Verhandlungen per e-mail und/oder telefonisch sowie das Angebot erstellen und an den Interessenten senden. 

 

Ist der Auftrag erteilt und die Zusammenarbeit vereinbart, folgen Kommunikation, Dokumentation und Reflexion. Denn sowohl Klient als auch Coach gehen in solche Gespräche und aus solchen Gesprächen mit Reflexionen. Ich mache dies meist auf meinen Spaziergängen.

 

Was schätzen Sie? 

a) Wie viele Stunden wendet eine erfahrene Beraterin (OE) und Coach bis zur Abgabe des Angebotes mit einen neuen, ihr bislang unbekannten Klienten auf?

b) Wie viel Zeit wendet die Coach für den Klienten neben den Gesprächen im Verlauf des Coaching auf? 

 

Meine Antwort und ein Rechenbeispiel gebe ich unten, am Ende dieses Textes: Zeit mit dem und für den Klienten.

 

Das Gesamthonorar im Coaching

Falls der Klient das Coaching selbst finanziert oder Budgethoheit über seine Fortbildungen hat (Coaching ist Fortbildung), kann die Coach direkt mit ihm verhandeln. Falls nicht, handelt es sich um einen dreiseitigen Vertrag. Zum Vorgehen dort siehe blog 21 Feb 2016 Encounters 2, Abschnitt Schneider: Supervision.

 

Wie in der OE ist die Höhe des Gesamthonorars eine Mischung aus Aufwand für die Coach und aus dem Wert des Coaching für den Klienten und auch sein Unternehmen. Der Wert eines Mitarbeiters für ein Unternehmen spiegelt sich unter anderem in seinem Gehalt wieder. 

 

Der Aufwand für die Coach setzt sich zusammen aus Zeit für und mit diesem Klienten und Investitionen wie Fort- und Weiterbildung, Büro, PC & Co. Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Kalkulation des Handwerkers (blog 26 Apr 2021). Das Werkzeug von Coaches und Beratern sind Fort- und Weiterbildungen und die Reflexion allein und mit anderen zusammen (Supervision, interkollegiale Beratung). 

 

Nun könnte die Rechnungslegung pro Gespräch erfolgen. Dies bedeutet Verwaltungsaufwand für Klient und Coach.

 

Die Vorteile eines Gesamthonorars sind auch im Coaching enorm:

 

Die Zahlung des Honorars erfolgt in zwei Etappen: die erste Hälfte nach Vereinbarung des Zusammenarbeit (Erteilung des Auftrages) und vor dem ersten Gesprächstermin. Die Zahlung der zweiten Hälfte erfolgt nach dem sechsten Gespräch.

 

Durch die Zahlung der ersten Hälfte vor dem Coaching steigt das Engagement des Klienten, das Coaching durchzuführen.

 

Der Klient entscheidet über die Gestaltung und den Umfang seines Coachings. Er kann jederzeit das Coaching beenden. Was bedeutet das für das Gesamthonorar? 

 

Sollte der Klient vor der Halbzeit (3 Gespräche) das Coaching beenden wollen, bekommt er anteilig das Honorar zurück. - Beispiel: Beendigung nach zwei Gesprächen -> Rückzahlung eines Drittels des bereits bezahlten Honorars.

 

Sollte der Klient nach der Halbzeit beenden wollen, stelle ich den Anteil der zweiten Halbzeit in Rechnung. - Beispiel: Beendigung nach dem vierten Gespräch (Termin): Berechnung eines Sechstels des Gesamthonorars (ein Termin).

 

Vom Fremden zum Vertrauten

Das Gespräch mit einem Umzugsprofi und Handwerker war der Anlass, den blog Ein Angebot kalkulieren zu schreiben. Das "Fremdeln" und Staunen so vieler möglicher Klienten in den vergangenen Jahren und nun auch kürzlich wieder, lösten diesen blog-Eintrag aus.

 

Da nicht nur die neue berufliche Herausforderung sondern auch die Welt der Honorarvereinbarungen für so manchen Klienten neu ist, ist dieser Text als ein Baustein auf dem Weg vom Fremden zum Vertrauten gedacht.

 

Christa Weßel - Freitag, 07 Mai 2021

 

 

Hier nun meine Antworten auf die Frage "Was schätzen Sie?"

 

Zeit mit dem und für den Klienten

a) Wie viele Stunden wendet eine erfahrene Beraterin (OE) und Coach bis zur Abgabe des Angebotes mit einen neuen, ihr bislang unbekannten Klienten auf?

Zwischen fünfzehn und zwanzig Stunden.

 

b) Wie viel Zeit wendet die Coach für den Klienten neben den Gesprächen im Verlauf des Coaching auf?

Zwischen fünfzig und hundert Prozent (also noch einmal die Hälfte bis die gleiche Zeitspanne zum Gespräch selbst hinzu). 

 

Rechenbeispiel:

15 h = bis zum Angebot

9 h = 6 Gespräche à 90 Minuten

9 h = plus

Summe: 33 h

 

Wir sprechen also nicht über ein Coaching-Honorar für neun Stunden, sondern für mehr als dreißig Stunden.

 

Falls ein Klient auch zwischen den Gesprächen ein Coaching per Telefon oder e-mail haben möchte, kommt nur die Abrechnungsmethode des Blended Coaching in Frage: das "Taxameter".

 

Blended Coaching setze ich vor allen ein, wenn Klient und ich uns bereits kennen. Dies kann heißen, dass wir bereits ein Coaching zu einem anderen Thema durchgeführt haben oder uns aus anderen Kontexten einer Zusammenarbeit kennen.

 

Lesestoff