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Sozioinformatik

Wir wollen wissen wie ein Krankenhaus tickt

Im Sommer ist es soweit, Lehre im Studiengang IT-Produktmanagement, Schwerpunkt Sozioinformatik, in den Modulen "Informatik im sozialen Kontext" und "Soziale Netze". Jetzt, im Januar hat die Hochschule mich zu einem Vortrag eingeladen:

"Konzeption eines Bürgerinformationssystems
unter besonderer Berücksichtigung
der Anforderungsanalyse und Evaluation"

 

Nach meiner Arbeit an der RWTH Aachen in der Medizinischen Informatik lag es nahe, den Titel zu erweitern: "... am Beispiel  eines webbasierten Informationssystems über Krankenhäuser".

 

Es geht los mit der Geschichte des Klinik-Scouts, den wir in Aachen in den Jahren 2002 bis 2007 entwickelt haben. Dann stelle ich mich der Frage "Worauf ist in der Konzeption eines Bürgerinformationssystems insbesondere in der Anforderungsanalyse und der Evaluation zu achten?" und schließe mit der Betrachtung, wie sich ein solches Bürgerinformationssystem an der HFU weiterentwickeln lässt und welcher Nutzen und welche Möglichkeiten bieten sich für Lernen und Lehre und Forschung und Entwicklung?

 

Der Scout

2002

 

   Ein Professor zu einer Kandidatin:
   "Sagen Sie mal, haben Sie eine Idee,
   wie ich an Informationen über Krankenhäuser ran komme?
   Egal, wo ich gerade bin. Auch nachts."
   Das war ein Test, eindeutig. Antwort: "Internet?!"
   "Ja, und dann. Wenn nur einem eingeschränkten Personenkreis
   zugängliche Sachen enthalten sein sollen?"
   "Passwörter?! https?! Verschlüsselung?!"
   "Ja. Das könnte klappen."

 

Dieser Professor holte mich nach Aachen mit dem Ziel, dort eine Forschungsgruppe zu Informationssystemen im Gesundheitswesen mit dem Schwerpunkt Web und Mobile Devices aufzubauen. Die leitende Frage lautete:

"Wie komme ich überall - orts- und zeitunabhängig - an Informationen über Krankenhäuser?" Also weg vom Health Care Professional. "Wie kann das jeder Bürger?"

 

Ein Bürgerinformationssystem über Krankenhäuser

Das Gesundheitswesen ist komplex, aber nicht kompliziert. Ich möchte mich mit Ihnen hier in der Sozioinformatik über ein Bürgerinformationssystem zu Krankenhäusern unterhalten, weil es uns alle irgendwann und irgendwie angeht.

Die Anforderung war also: überall zur Verfügung, jederzeit, bürgerorientiert. Wir waren im Jahr 2002.

Das Projekt startete mit einem Kollegen, der mich in der Betreuung der Abschlussarbeiten in meiner Forschungsgruppe unterstützte und mit vier Informatikstudierenden, die ihre Studienarbeiten - das entspricht ungefähr einem Bachelor - in der Medizinischen Informatik anfertigten.

Die Gruppe wuchs und viereinhalb Jahre später waren wir soweit. Wir sind online gegangen und haben webbasiert und zuvor im Labor evaluiert. Dazu komme ich später noch mal.


"Wir wollen" - wie einer unserer Informatiker es so schön formulierte - "wissen, wie ein Krankenhaus tickt."
Uns war von vornherein klar, dass wir eine multidisziplinäre Forschungsgruppe aufbauen würden. Die große Chance in der Medizinischen Informatik: Sie haben sofort Informatiker und Mediziner zusammen. In Aachen gibt es außerdem die Möglichkeit als Dr. rer. medic. zu promovieren. Also konnten wir auch Doktoranden aus anderen Bereichen gewinnen. Es waren ein Maschinenbauer, ein Wirtschaftsingenieur und später auch ein Zahnarzt dabei. Zunächst haben wir in unserer Forschungsgruppe gearbeitet und sind dann rausgegangen, ins "Feld", wie es in der Soziologie heißt.

 

Die Anforderungen waren
o webbasiert,
o generisch,
o modular,
o und so konzipiert, dass es nicht nur für die Branche Gesundheitswesen interessant ist, sondern vielleicht auch für andere.

 

Wir sind den Weg der Objektorientierung gegangen, haben mit UML gearbeitet und zunächst ein Metamodell eines Krankenhauses konzipiert. Das hört sich leicht an, ist aber relativ komplex. Erste Ergebnisse hatten wir früh, bis das Metamodell jedoch Strukturen - inklusive Personal - und Ergebnisse - beispielsweise Diagnosen und Therapien – abbilden konnte und stabil war, also ohne Redundanz, vergingen ungefähr zwei Jahre. Währenddessen arbeiteten wir an den technischen Lösungen, also der Datenbank, dem Datenbankmanagementsystem und den Frontend sowie den dahinter liegenden Automatisierungen, wie zum Beispiel der automatischen Textgenerierung.

Wie gesagt, haben wir auch mit Health Care Professionals und "ganz normalen Bürgern" außerhalb unserer Forschungsgruppe gesprochen. Da war zum Beispiel eine Doktorarbeit von Julia Rams, die mit "ganz normalen Bürgern" exploriert hat: "Was fragen Sie? Wie suchen Sie? Was brauchen Sie überhaupt?" Auch die Informatiker sind ins Feld gegangen und haben mit qualitativen Methoden untersucht, was Health Care Professionals in ihrer Arbeit brauchen. Dazu zählten auch Menschen, die in der Verwaltung, insbesondere dem Controlling arbeiten.


Was kam dabei heraus? Wir schreiben die Jahre 2002 bis 2007. 2002 war facebook noch nicht geboren. Twitter gab es noch nicht. Airbnb und jimdo auch noch nicht. Auf diese vier komme ich später noch mal.

Wir haben also eine Objektdatenbank gebaut, der ein Metamodell eines Krankenhauses zugrunde liegt. Wir haben ein CERES Toolkit gebaut, eine Datenbankzugriffsschicht, und etliche Anwendungen entwickelt. Die Liste, auf der Sie Publikationen hierzu finden können, nenne ich Ihnen am Schluss.

Manche Leute wollen in Tabellen gucken, manche wollen schnell auf eine Karte schauen, suchen müssen sie auf jeden Fall. Wir müssen ansprechende Webseiten haben. Und was auch wichtig ist: Wir wollen webbasiert evaluieren, ob das, was wir da tun, überhaupt Sinn macht.

 

Exploration und Evaluation

Wir haben exploriert durch Dialoge innerhalb der multidisziplinären Forschungsgruppe, Literaturarbeit und natürlich mit Interviews potentieller Nutzer eines solchen Informationssystems, wie das Ganze aussehen soll. Wir haben in iterativen Zyklen entwickelt - agile Methoden schimmerten damals gerade am Horizont, der Hype kam Ende der nuller Jahre – und eine fortlaufende, formative Evaluation unserer Arbeit durchgeführt. Sobald wir erste Anwendungen hatten - zum Beispiel die tabellarische Darstellung - haben wir Menschen ins Labor geholt.

Kleine Forschungsgruppe, kleines Budget. Wir haben eine einen Abiturientenkursus der Mathematik gewinnen können, mitsamt Lehrer, die sich mit uns einen halben Tag ins Labor gesetzt haben, und die Anwendung frei und mittels Aufgaben ausprobiert haben. Dazu gehörte so etwas wie "Finden Sie in fünfzig Kilometer Entfernung Kliniken, die Hüftgelenke operieren und eine Kardiologie haben." Die Schüler - und der Lehrer - haben einen Fragebogen zur Nutzerzufriedenheit ausgefüllt und dann haben wir noch ein Gruppeninterview mit ihnen gemacht, in dem es vor allem – aber nicht nur - um Ideen für webbasierte Informationssysteme ging. Als Dankeschön sind wir mit den Schülerinnen und Schülern und dem Lehrer Mittag essen gegangen und haben uns mit ihnen am Nachmittag über die Vielfalt im Informatik und Medizin und die Studiengänge dazu ausgetauscht.

Nachzulesen ist dies in Julia Rams Doktorarbeit und ein paar anderen Publikationen. Julia Rams hat aus diesen Erkenntnissen Anforderungen entwickelt, was an dieser Anwendung noch zu verbessern ist.


Außerdem haben wir, als wir online gegangen sind, eine webbasierte Evaluation durchgeführt. Dabei standen wir vor mehreren Herausforderungen. Eine war, personenbezogenen Daten tatsächlich nicht aufzunehmen und gleichzeitig möglichst weit sicherzustellen, dass nicht eine Person diesen Fragebogen mehrfach ausfüllt. Matthias Raffelsieper, mittlerweile promovierter Informatiker und bei google, hat dies im Rahmen seiner Studienarbeit auf die Beine gestellt. Meine Aufgabe - ich bin auch Gesundheitswissenschaftlerin und in qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden gut aufgestellt - war es, die Fragebogen zu entwickeln. Dabei konnten wir auf einen reichen Schatz an der UMIT, an der University of Medical Informatics Tirol in Hall in Tirol zurückgreifen. Professorin Elske Ammenwerth ist darin seit Jahren sehr aktiv. Auch diesen Fragebogen haben wir iterativ in der Gruppe entwickelt. Die fortlaufende Evaluation des Fragebogens, der Anwendungen und anderer Softwareentwicklungen haben wir GREME genannt: Group discussion and Email-based Evaluation. Sie kombiniert Team Reviews und Pass Arounds in definierten Zyklen.


Soweit so gut. Wir waren im Herbst 2006 soweit, dass wir mit Berliner Krankenhäusern das Ganze testen konnten. Die Freischaltung erfolgte im Dezember 2006, weil es noch einige Datenschutzanforderungen zu erfüllen galt, beispielsweise die Genehmigung der Häuser, ihre im Internet veröffentlichten Daten zu verwenden. Das ging sehr schnell. Langsamer war die eigene Uni-Administration. Gelernt haben wir daraus, die eigene Verwaltung viel früher ins Boot zu holen als so manchen externen Partner.

Die webbasierte Evaluation lief drei Monate und dann - habe ich Aachen verlassen. Dies war schon länger so geplant. Die fünf Jahre waren vorbei und es hat mich in die Organisationsentwicklung gezogen. Der "Scout" war noch ein paar Monate online, aber mein Nachfolger hatte andere Interessensschwerpunkte und das Ganze schlief ein.

 

Ich habe immer mal wieder webbasierte Informationssysteme über Krankenhäuser angesehen und ausprobiert, und ich bin noch nicht zufrieden. Versuchen Sie mal, für eine nicht seltene Erkrankung und Therapie ein Krankenhaus zu finden und legen dabei Qualitätskriterien wie Anzahl der Operationen pro Jahr oder behandelten Fälle, der Fachärzte und Kombination mit anderen Abteilungen, zum Beispiel Orthopädie und Kardiologie oder Geburtshilfe und Neonatologie. Dann nehmen Sie auch noch einen Umkreis hinzu. Noch gar nicht die Rede war damit von medizinischen und pflegerischen Qualitätskriterien wie Infektionsrate, Aufenthaltsdauer und Komplikationen.

Seit 2005 müssen Krankenhäuser ihre Qualitätsberichte im Internet veröffentlichen. Dies übernehmen für sie die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen sowie der Verband der Privaten Krankenversicherung. Es gibt mehrere Suchplattformen verschiedener Krankenkassen und einige kommerzielle Plattformen.

Sind Krankenversicherungen wirklich neutral? Haben sie genügend Know How, solche Informationssysteme hochwertig einzurichten und zu pflegen? Und warum sind die Daten so alt? Derzeit sind in den Systemen Daten von 2014 enthalten, also alles andere als aktuell. Eine Ausnahme ist http://www.deutsches-krankenhaus-verzeichnis.de/ der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft. Hier können Krankenhäuser aktuelle Daten einpflegen.

 

Ich habe noch keine Antwort auf diese Fragen. Vielleicht lassen sie sich ja an der Hochschule Furtwangen beantworten. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich mit Ihnen betrachten, was es mit Anforderungsanalyse und Evaluation in der Konzeption von Informationssystemen auf sich hat.

 

Anforderungsanalyse und Evaluation

Die Eingangsfrage lautete: Worauf ist in der Konzeption eines Bürgerinformationssystems insbesondere in der Anforderungsanalyse und der Evaluation zu achten?

 

Wenn Sie wissen wollen, wie ein Krankenhaus tickt und was Nutzer und Kunden für ein webbasiertes Bürgerinformationssystem über Krankenhäuser brauchen, von ihm erwarten, wie sie mit ihm arbeiten wollen und können, dann müssen Sie natürlich auch wissen, wie diejenigen, die es benutzen sollen, ticken.

 

o Wer sind sie?
o Wie arbeiten sie?
o Wie sind sie unterwegs - räumlich, zeitlich und inhaltlich?
o Was brauchen sie?

 

Sie müssen auch wissen, welche fachlich anerkannten Kriterien es für die Entwicklung und Gestaltung eines solchen Informationssystems gibt. Für Benutzeroberflächen, Datensicherheit und Datenschutz.

 

Usability

Wenden wir uns zunächst einmal den Benutzeroberflächen zu.
Für Benutzeroberflächen ist Usability entscheidend. Usability bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Programm aus Benutzersicht effizient, effektiv und zufriedenstellend arbeitet. Also müssen Sie Anwendungen mit potentiellen Nutzern testen und evaluieren.

Jakob Nielsen hat sechs Usability-Kriterien beschrieben, die in der Softwareentwicklung zum Goldstandard gewordenen sind [Nielsen 1993]. Usability setzt sich zusammen aus to use und ability, benutzen und Fähigkeit, kurz Benutzbarkeit. Diese Benutzbarkeitskriterien umfassen Erlernbarkeit, Effizienz, Effektivität, Einprägsamkeit, Fehlerrate und Grad der Zufriedenstellung.

Eine Anwendung, insbesondere Benutzeroberflächen, aber auch Fragebögen, Handbücher und vieles mehr sollten Sie also so konzipieren, dass sie
o leicht verständlich und selbst erklärend, bzw. gut erklärt ist,
o Nutzer Aufgaben rasch und umfassend erledigen können,
o Nutzer sich gut an die Anwendung erinnern können,
o die Technik einwandfrei funktioniert,
o Nutzer anderen diese Anwendung empfehlen werden.

 

Methoden

Für Tests und Evaluationen mit potentiellen Anwendern nutzen Sie vor allem Forschungsmethoden aus der Soziologie. Mit empirischen Erhebungen vor allem durch qualitative und auch quantitative Methoden können Sie die Nutzer verstehen, Neues entdecken und Hypothesen und Schlussfolgerungen für Ihr weiteres Vorgehen entwickeln. Zu diesen Methoden zählen Einzel- und Gruppeninterviews für die Exploration vor, während und nach der Entwicklung einer Software, die Arbeit mit Szenarios und Aufgaben, Thinking aloud und Fragebögen für Test und Evaluationen während und nach der Entwicklung einer Software.

 

Datenschutz und Datensicherheit

Datenschutz und Datensicherheit unterliegen fortlaufenden Veränderungen. Es gilt, deutsche und europäische Richtlinien und Gesetze mit außereuropäischen Standards in Einklang zu bringen.

Die Balance zwischen Wahrung von Datenschutz und Datensicherheit und der nutzerfreundlichen Gestaltung eines Informationssystem ist eine große Herausforderungen. Hier ist die enge Zusammenarbeit zwischen Informatikern, Nutzern und Juristen gefragt.

 

Test first

In der technischen Entwicklung gilt der Grundsatz "test first": zunächst gilt es zu formulieren, was eine Software können soll, dann die Tests zu schreiben und erst danach mit der Modellierung und Programmierung zu beginnen.

 

Agil

In der Umsetzung, also Analyse, Design, Implementierung und Evaluation (ADIE), gehen Sie möglichst agil vor. Agile Methoden stammen aus der Software-Entwicklung. 2001 hockten in einem US-amerikansichen Skiressort einige Softwareentwickler zusammen. Bei ihren Gesprächen wurde ihnen klar: wir wollen eine einfachere und robustere Softwareentwicklung. Sie formulierten für eine solche Softwareentwicklung vier zentrale Werde und zwölf Prinzipien im Agilen Manifest.

Dazu zählen zum Beispiel die Nutzerorientierung, der hohe Wert der direkten täglichen Kommunikation in den Entwicklerteams, der Respekt vor dem Können und Engagement der Entwickler und die Auslieferung funktionsfähiger Software in kurzen Zyklen. Kurz heißt hier einige Wochen. In Scrum wird das der Sprint genannt.  Also können Sie nach zwei, drei oder vier Wochen - je nachdem wie lange Sie den Sprint wählen - wiederum ein lauffähiges Produkt dem Nutzer zur Verfügung stellen.

Agile Methoden können Sie hervorragend unter anderem im Projektmanagement und stufenweisen Evaluationen einsetzen. Zu beachten ist eine deutliche Lernkurve in besondere in soziokultureller Hinsicht. Mit diesem Ansatz verlassen Sie völlig das hierarchische Denken. Agile Methoden erfordern von allen Beteiligten Eigenverantwortung, Zuverlässigkeit und Kreativität.

 

Evaluation

Natürlich können Sie das mit Masse machen, wie es Microsoft früher mal gemacht hat. Sie machen einfach den Nutzer zum Tester. Man guckt, wie es wohl läuft mit dem neuen Betriebssystem und den neuen Anwendungen. Das ist aber mittlerweile nicht mehr so up-to-date, sondern Sie gucken im Labor, laden potentielle Nutzer ein, lassen sie mit Fallaufgaben arbeiten, machen Fragebögen und Interviews.

Außerdem holen Sie sich online Feedback.

 

Delphi

Bei der Anforderungsanalyse und auch bei der Evaluation gibt es natürlich auch noch Techniken, wie Sie nicht nur die unmittelbaren Nutzer sondern auch noch Experten, die dazu einiges beitragen können, einbeziehen können. Sie können mit der Delphi-Technik arbeiten.

Sie haben eine Fragestellung und einen Katalog von Fragen, den Ihnen Experten beantworten sollen. Die sind aber nicht alle mit Ihnen hier im schönen Schwarzwald, sondern sind weltweit verteilt. Also liegt es nahe, Experten zur Umfrage einzuladen - online. Linstone und Turoff, die die Delphi-Technik in den 1970ern beschrieben haben, haben das noch per Post und mit einer Konferenz gemacht.

Es gibt mindestens drei Runden. Sie recherchieren Experten, laden sie per Email zur ersten Online-Umfrage ein. Der Fragebogen enthält quantitative und qualitative Elemente, also Ankreuzfragen und Freitexte. Sie werten aus, verdichten die Erkenntnisse und entwickeln neue Fragen. Dann laden Sie dieselben Experten oder noch mal kondensiert und gefiltert einen anderen Kreis für die zweite Online-Runde ein. Ein Filter kann zum Beispiel in der Fokussierung auf einen Teilaspekt und damit auf ein Fachgebiet liegen. Linstone und Turoff haben damit ihre Papierberge eindämmen können. In Zeiten der online-Umfrage sind Filter nicht unbedingt erforderlich. Die Ergebnisse der zweiten Umfrage kondensieren Sie ebenfalls und laden einen ausgewählten Expertenkreis zur Konferenz ein. In dieser dritten Runde geht es um den Austausch im Dialog und die Frage: Was können wir aus den Erkenntnissen wie für unsere weitere Arbeit nutzen?

Sie können sich überlegen, ob Sie diese Konferenz als Web-Konferenz durchführen oder ob Sie die Experten hier in den schönen Schwarzwald einladen.

 

Messbarkeit

Sie können Schätzungen verifizieren, nachdem Sie aus Ihren Erkenntnissen Kriterien und Indikatoren entwickelt haben, die RUMBA sind: also reliable, understandable, measurable, behaviorable and attainable sind. Sie sind verlässlich, verständlich, in Zahlen messbar, durch Verhalten beeinflussbar und Veränderungen sind machbar.

 

Und los

Die Voraussetzungen an der Hochschule Furtwangen sind sehr gut, wie beispielsweise die hier vertretenen Fächer, die Kommunikation innerhalb und nach draußen und der Ruf der Hochschule. Ich denke, es könnte losgehen.

 

Hochschule Furtwangen

Wie lässt sich ein solches Bürgerinformationssystem an der HFU weiterentwickeln?

Welcher Nutzen und welche Möglichkeiten bieten sich für Lernen und Lehre und Forschung und Entwicklung?

 

In Aachen waren wir ein Duo aus Leiterin der Forschungsgruppe und aus einem Kollegen, der mich unterstützt hat in der Begleitung der Informatikabschlussarbeiten und auch in den medizinischen Promotionen. Wir haben also das vier-Augen-Prinzip gewählt. Zur Forschungsgruppe gehörten Studierende der Informatik und der Medizin, je ein Wirtschaftsingenieur, Maschinenbauer und Zahnarzt. Jede Abschlussarbeit und Promotion war ein Baustein, ein Modul dieses Informationssystems. Die Aufgabe unserer Forschungsgruppe bestand darin, dies zu einem Ganzen zu machen. Wir haben uns alle zwei Wochen im Team für zwei Stunden getroffen und die aktuellen Dinge besprochen. Hinzu kamen Gespräche in kleineren Gruppen, zum Beispiel an Meilensteinen der Abschlussarbeiten. Es sind 16 Studienarbeiten (Äquivalent einer Bachelorarbeit), 4 Diplomarbeiten (Äquivalent einer Masterarbeit) und 4 Promotionen sowie etliche Publikationen entstanden. Wir haben das Informationssystem online gestellt und auch online evaluiert, allerdings ist das Ganze dann wieder eingeschlafen. Ich möchte diesen Faden wieder aufnehmen. Wie gesagt: ich bin mit den existierenden Informationssystemen und Suchplattformen noch nicht zufrieden.

 

Es ist hoher Praxisstandard auch hier an der HFU projekt-basiert zu lernen, multidisziplinär zu arbeiten, Forschungsgruppen Fach- und Fakultäten übergreifen zu installieren, mit externen Partnern zu kooperieren, regional, national und international. Ich bin davon überzeugt, dass die Arbeit an einem solchen Bürgerinformationssystem ein gutes Thema in der Informatik ist und durch die Sozioinformatik gut vertreten werden kann.

 

Digitale Ökonomie

Wie könnte es weitergehen?

Ich habe vorhin diese Plattformen kurz angesprochen. Seit 1995 bewegen wir uns in der digitalen Ökonomie. Eigentlich schon früher. 

  1995 +/- Web 1.0
  2000 +/- Online Shop
  2005 +/- Social Media
  2010 +/- Mobile / Apps
  2015 +/- Internet of Things
  2020 +/- Digital Products and Services

 

Wir sind jetzt im Internet der Dinge und bewegen uns auf digitale Produkte und Dienstleistungen zu. Also gibt es nicht mehr nur die Hotelkette, die ihre Leistungen anbietet, sondern einen Vermittlungsservice für Unterkünfte wie airbnb. Es gibt nicht mehr nur das Branchenbuch sondern alibaba. Es gibt nicht mehr einfach den Buchhandel sondern einen weltweit operierenden Konzern, der mittlerweile sogar mit eigenen Druckern für das Buch an der Haustür experimentiert. Es gibt auch Internetplattformen und Services, die Informationen zur Verfügung stellen. DuckDuckGo für die grobe Suche. Andere für spezielle Fragen, wie wlw – wer liefert was. Und es gibt so etwas wie jimdo. Jimdo wurde 2007 in Hamburg gegründet und ist ein Dienstleister für Internetauftritte. Die Kunden können für ihre Websites und Shops drei Stufen wählen. Basic, business, pro. Wozu mich das inspiriert hat, sehen wir gleich.

 

web mobile social media & social informatics

Wie könnte der nächste Schritt aussehen?

Web ist spätestens seit 2000 gesetzt. Das New York Presbyterian Hospital, die Uniklinik der Columbia University hat sein Krankenhausinformationssystem schon in den 1990er Jahren auf Browsertechnologie umgestellt (Cimino et al 1995). Als wir in Aachen 2002 über die ersten Webgeschichten und auch über mobile Anwendungen nachdachten und sie entwickelten, war es im NYPH schon in diesen Jahren Usus, dass Ärzte und Pflegepersonal mit Palms arbeiteten (Chen 2001).

Social media kommen dazu. Wenn Ihre Oma sagt: "Kind, kannst du mir helfen? Der Doktor hat gesagt, ich muss ins Krankenhaus und ich muss meine Hüfte operieren lassen. Wo soll ich denn nur hingehen?" Dann zücken Sie hoffentlich Ihr Smartphone und können ganz bequem hochwertige Daten recherchieren. Am besten ist natürlich, wenn Oma das selbst kann.

 

Es ist einerseits die technische Seite, die es zu untersuchen gilt. Sozioinformatik untersucht, wie Menschen in Gruppen miteinander umgehen, mit Informations- und Kommunikationstechnologie umgehen, welche Auswirkungen Technik auf sie hat und wie wiederum wir Menschen Technik beeinflussen können. Technik und nicht nur IT. Das trifft es spätestens seit dem Internet der Dinge.

 

"Social informatics is the body of research that examines the design, uses, and consequences of information and communication technologies in ways that take into account their interaction with institutional and cultural contexts." (Rob Kling 2000)

 

Nutzer

Wer sind "die Nutzer"?

Wie auf einem Marktplatz ganz normale Bürgerinnen und Bürger. Das ist der wichtige Punkt. Wenn ein Mensch mit einer gewissen Grundbildung, also, wenn er eine Wohnung mieten, einen Urlaub organisieren, eine Familie gründen, eine Auto kaufen kann, wenn dieser Mensch versteht, was wir ihm über ein Krankenhaus und mehrere Krankenhäuser im Vergleich erzählen, dann können Health Care Professionals, medizinische und nicht-medizinische, das auch.

 

Kunden

Wer wären Kunden für eine solche Plattform?

Diejenigen, die sich darauf darstellen und vorstellen wollen. Also zunächst einmal Krankenhäuser. Ich bin überzeugt davon, dass sich dies auch auf andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen, wie Pflege, Praxen, Apotheken, Orthopädiefachgeschäfte und Reha-Einrichtungen und auch auf andere Branchen übertragen lässt.

Krankenhäuser haben ein Interesse, sich gut in der Öffentlichkeit darzustellen. Dazu gehören auch und vor allem aktuelle Daten. Krankenhäuser müssen Qualitätsberichte im Internet veröffentlichen, doch das dauert. Und Krankenhäuser haben beschränkte finanzielle, zeitliche und Wissensressourcen, um das entsprechend umsetzen zu können.

Also liegt es nahe, ihnen ein Möglichkeit zu bieten, sich im Netz darzustellen: aktuell, übersichtlich, ansprechend.

 

basis business pro

Bieten wir ihnen das doch an und stellen ihnen frei, wie weit der Service dafür gehen soll und zu entscheiden, wie weit sie bereit sind, sich zeitlich, finanziell und vom eigenen Wissen her zu engagieren.

Zum Beispiel jimdo, ein Provider für Internetauftritte und Shops. Jimdo bietet Basic, Business und Pro an. Basic heißt: alle Funktionen, eingeschränkter Speicherplatz und Bandbreite, jimdo im Link (Subdomain .jimdo.com), kein persönlicher Support. Business: mehr Speicher, größere Bandbreite, Basis-Shop, persönlicher Support und - wichtig für social media - Erweiterungen über apps (durch das Einfügen von widgets Einbinden anderer Anbieter) und noch ein paar andere Dinge. Pro: unbegrenzter Speicher und Bandbreite, kompletter Online-Shop und noch einiges anderes.

 

Die Crew

Wie lässt sich dies an einer Hochschule, wie es die Hochschule Furtwangen ist, umsetzen?

Continued Multidisciplinary Project-Based Learning ist der Begriff, den wir dafür in Aachen geprägt haben. Das Projekt ging über fünf Jahre. Studierende mit ihren Abschlussarbeiten und Doktoranden kamen und gingen. Das Gerüst war die Leitung dieser Forschungsgruppe zusammen mit dem Kollegen, der die Abschlussarbeiten im vier-Augen-System mit ihr begleitete.

Hier an der HFU gibt es neben den Fakultäten für Informatik, Wirtschaftsinformatik und Gesundheitswissenschaften einige Forschungsgruppen und Institute, die auf Feldern arbeiten, die die Arbeit an einem Bürgerinformationssystem berühren.

Ich bin überzeugt davon, dass wir hier an einem Bürgerinformationssystem über Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens arbeiten können. Aus der Perspektive der Sozioinformatik und aus der technischen Informatikperspektive. Es gibt spannende Fragen zur Usability, zu Datenschutz und -sicherheit, Big Data, Cloud und mobilen Anwendungen - um nur einige zu nennen. Sehr spannend ist auch: es gibt Gesundheitswissenschaften an der HFU, also sind auch Experten und Forschungsfragen zum Gesundheitswesen vorhanden.

 

Partner

Wer könnten unsere Partner sein?

Interne Partnerschaften habe ich genannt. Die HFU hat eine lange Tradition, externe Partner aus der Wirtschaft und staatlichen und anderen Einrichtungen zu gewinnen. Auch mit Krankenversicherungen funktioniert es. Die Gesundheitswissenschaftler haben das kürzlich mit ihrem Gesundheitstag gezeigt. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und Universitäten ist national und international auf ein sehr breites Fundament gestellt. In Bezug auf ein Bürgerinformationssystem über Krankenhäuser lassen sich wahrscheinlich auch Krankenhäuser für eine Zusammenarbeit gewinnen, ganz dem agilen Gedanken verpflichtet, den Kunden von vornherein einzubinden.

 

Finanzierung

Wie könnten wir das Ganze finanzieren?

Zum einen handelt es sich um ein Projekt von öffentlichem Interesse. Es sind sicher Förderungsgelder möglich. Projektpartner könnten sich finanziell beteiligen. Direkt und indirekt, indem sie Experten und ihre Arbeitszeit einbringen. Vielleicht wollen auch Einrichtungen wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft ihre bestehende Plattform (http://www.deutsches-krankenhaus-verzeichnis.de/) verbessern. Luft nach oben gibt es.

 

Früh oder spät?

Sind wir früh oder spät mit dem Thema Bürgerinformationssystem über Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesen dran? Handelt es sich hier um Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang?
Vor zehn Jahren ist der klinik-scout für einige Monate online gegangen. In den letzten zehn Jahren sind einige Suchmaschinen und Plattformen verschiedener Betreiber entstanden. Am vielversprechendsten ist noch http://www.deutsches-krankenhaus-verzeichnis.de/. Aber auch dies lässt noch etliche Möglichkeiten offen.

Auf diesem Bild hier ist es morgens halb-sechs auf der Elbe. Seit gut einer von sechs Stunden ist Flut. Ich bin davon überzeugt, dass wir immer noch ziemlich weit am Anfang stehen. Und ich bin davon überzeugt dass ein solches Bürgerinformationssystem ein hervorragendes Szenario für die Ausbildung von Studierenden in der Sozioinformatik und anderen Gebieten der Informatik ist und sich als Forschungsprojekt auch für Continued Multidisciplinary Project-Based Learning hervorragend eignet.

 

Schritte

Welche Schritte können wir dafür tun?

 

Schritte
# Test
   "Projekt-basiertes Lernen"
    SS 2017 in den Modulen
   "Informatik im sozialen Kontext" und "Soziale Netze"

# Multidisziplinäre Forschungsgruppe
   Bachelor-, Master-, PhD-Theses,
   Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
   aus Informatik, Ökonomie, Soziologie
   und Gesundheitswissenschaften

# Drittmittel-Finanzierer finden
# Krankenhäuser für die Pilotphase finden
# Pilotphase (ADIE)
# Ausbreitung

 

Die Hochschule Furtwangen hat mir die Lehraufträge für die Module "Informatik im sozialen Kontext" und "Soziale Netze" im Schwerpunkt Sozioinformatik des Bachelorstudienganges IT-Produktmanagement für das kommende Sommersemester erteilt. Ich möchte mit den Studierenden ausprobieren, wie sie sich diesem Thema nähern und wie sie das Ganze angehen.

Nächste Schritte wären dann der Aufbau einer multidisziplinären Forschungsgruppe. Darin fertigen Studierende Bachelor-, Master-, PhD-Theses an. Mit dabei sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Informatik, Ökonomie, Soziologie und Gesundheitswissenschaften. Wir finden Drittmittel-Finanzierer und  Krankenhäuser für die Pilotphase. In der Pilotphase geht es um Analyse, Design, Implementierung und Evaluation. Und wenn das System gut läuft, breiten wir es aus.

Frühzeitig ist natürlich auch gerne zu überlegen, in welchen anderen Einrichtungen und Branchen sich ein solches Bürgerinformationssystem anwenden lässt. Und wie man es auch international anwenden kann. Im wahrsten Sinn des Wortes liegt für Furtwangen auch die Schweiz nahe. Ich kenne das dortige Gesundheitswesen ein wenig. Ich habe in Basel vor achtzehn Jahren promoviert.

 

Lesestoff

Wenn Sie weiterlesen wollen ... [am 21.01.2018 aktualisiert]

 

Weßel C. Elche fangen - Basiswissen Consulting für Berater und Führungskräfte. Frankfurt am Main, Weidenborn Verlag 2017 - Band 1 bis 4

  1. BERATEN - Philosophien, Konzepte und das Projekt
  2. MENSCHEN - Lassen Sie uns zum Äußersten greifen ... reden wir miteinander
  3. WERKZEUGE - Von 8+1 W bis Smarte Ziele
  4. ENTDECKEN - Beobachtungen, Interviews und Fragebögen kompakt und kompetent angewendet

 

Publikationen - auch - zum Projekt

https://www.christa-wessel.de/bücher/

 

Theses zum Projekt (Studien-, Diplom-, Doktorarbeiten)
https://www.christa-wessel.de/ressourcen/betreute-wiss-arbeiten/

 

Literatur zur Sozio-Informatik (Kling, Nielson & Co)
https://www.christa-wessel.de/ressourcen/zu-sozio-informatik/

 

Dieser Vortrag
https://www.christa-wessel.de/2017/01/20/sozioinformatik/

 

Einige Geschichten dazu, wie wir gearbeitet haben, finden Sie in meinen Büchern. Die Publikationen, die wir zum Projekt gemacht haben in den fünf Jahren und auch noch danach - Julia Rams hat zum Beispiel ihre Doktorarbeit 2009 abgeschlossen - finden Sie auch im Netz. Die Abschlussarbeiten habe ich aufgelistet und Literatur zur Sozioinformatik (Kling, Nielson und Co) habe ich dort auch zusammengestellt. Diesen Vortrag finden Sie in meinem Blog.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Christa Weßel - Freitag, 20. Januar 2017

 

PS: Es geht noch weiter. Die Hochschule hat mich gebeten, auch einen Vortrag zu einem Schwerpunkt aus meiner Arbeit zu halten. Natürlich musste ich nicht lange überlegen: "Each Question Is an Intervention. The Power of Appreciative Research" ...

 

Blogrubrik Sozioinformatik

 

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