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Sabbatical in der Lehre

… mit den Besten in die Pause

Vor drei Tagen, am Freitag, den 3. Mai 2019, fand der Abschlusstag des zweisemestrigen Seminars Consulting an der DHBW Mannheim statt. Die Studierenden hatten Einiges zu feiern. "Gestern war unsere letzte Klausur. Heute ist der letzte Seminartag. In unserem Studium." Sie sind im sechsten und damit letzten Semester ihres dualen Bachelorstudiums Wirtschaftsinformatik. Es folgen noch eine dreimonatige Praxisphase - ebenfalls die letzte von sechs - und die mündliche Abschlussprüfung im September.


"Dann haben wir ja alle etwas zu feiern." -"?" - "Ich gehe in ein Lehr-Sabbatical. Ich mache ein Jahr Pause. Und was wäre schöner als mit der besten Gruppe, mit der ich in diesen neun Jahren zusammengearbeitet habe, in solch eine Pause zu gehen?"


Sie konnten es nicht so recht glauben mit der "besten Gruppe". - "Ihre Bescheidenheit ehrt Sie. Passt."


Ein Kollege hatte sich gewundert, warum ich mich in den letzten Wochen kaum bei ihm gemeldet hatte. Ihm schrieb ich am Freitag

… über den Aufwand, ein Projekt _nicht_ zu betreiben

[e-mail an MK 03 Mai 2019]


Samantha ("Sam") Crowe, Forschungsleiterin im SETI Programm in Frank Schätzings Roman "Der Schwarm" [2004], sagt zu Leon Anawak, Meeresbiologe: "Manchmal ist es aufwändiger, ein Projekt _nicht_ zu betreiben." [jedenfalls so ungefähr]


Das Semester war in diesem Frühjahr sehr ereignisreich. (Es ist eine Duale Hochschule, daher geht das Frühjahrssemester von Mitte Februar bis Anfang Mai.) Ich erzähle immer mal wieder in meinem Blog davon, so auch diesen Monat: https://www.christa-wessel.de/blog/


Und zum "_nicht_ betreiben": es ist höchste Zeit für ein erneutes Sabbatical. Zuletzt habe ich 2007/2008 ein Jahr Pause in der Hochschullehre gemacht und nun gönne ich mir nach elf Jahren endlich wieder eines.


Heute habe ich mit dem Prof gesprochen, der mich 2010 für die DHBW Mannheim angeheuert hat. Die Aufgabe: Consulting im Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik. Es kamen noch andere Lehrveranstaltungen und einige Bachelorarbeiten hinzu.


Außerdem sind zu diesem Thema in dieser Zeit sechs Bücher entstanden und das siebte ist schon sehr weit vorangeschritten. In ihm erzähle ich unter anderem von Mannheim (Vor-Lese-Proben: https://www.christa-wessel.de/books/work-in-progress/)


Es ist höchste Zeit, eine Pause einzulegen, damit ich das aal_buch fertig stellen kann. Jedes Semester kommen tolle, neue Sachen von den Studierenden hinzu und ich würde sie am liebsten alle mit in das Buch aufnehmen.


Zu Ostern bin ich zwei Wochen fast vollständig offline gegangen. Die Ruhe in FFM genießen - das geht, weil die Stadt an den Wochenenden und stärker noch in den Ferien wie leergefegt ist: die Tages- und Wochenpendler sind weg und einige Frankfurter fahren auch raus. Im Hof die abgestorbenen Äste aus dem Kirschbaum ausschneiden und dies und das an den Pflanzen machen. Viele Bücher lesen und Hörbücher hören. Fahrrad fahren - geht ganz wunderbar in FFM, vor allem am Main. Spazieren gehen.


Und nun das Semester abschließen und das Projekt Lehren pausieren - Eben "_nicht_ betreiben".

Die Arbeiten der Studierenden

Bereits im ersten Teil des Seminars Consulting hatten die Studierenden acht, zum Teil sehr gute Seminararbeiten erstellt (Blog vom 4 Nov 2018 Sag es Oma). Nun standen im zweiten Teil die Portfolios an - das "Wie" finden Sie auf Veränderung Gestalten Lernen … 


"Wie viele Seiten haben alle Portfolios zusammen?" lautete eine Frage im Quiz der beiden Studierenden, die die Eingangsreflexion am Tag 8 durchgeführt haben. In diesen Eingangsreflexionen erarbeiten zwei Studierende mit der Gruppe die Inhalte des vorhergehenden Seminartages. In diesem Semester waren es vor allem Spiele und Quiz.


Sechshundert Seiten, sechzehn Portfolios. Meine Frage an die Studierenden: "Und was denken Sie: wie lange habe ich für die Reviews gebraucht?" - "Fünfzig Stunden?" - "Nein. Für ein Portfolio brauche ich meist ungefähr eine Stunde, inklusive Kommentierung. Länger, wenn die Arbeit nicht so gut ist. Dann muss ich mehr kommentieren. Nun verstehen Sie vielleicht auch, warum ich so großen Wert auf ein gut lesbares Layout lege."  Nicken. "Dieses Mal waren es 22 Stunden. Und ich habe es über vier Tage gestreckt." - "Ja, Sie haben ja mal gesagt, dass Menschen wirklich produktiv ungefähr vier Stunden am Tag arbeiten." - "Es sei denn, sie sind in einem Flow. Dann können es auch mehr werden."


Wie gesagt, jedes Semester kommen sehr gute Arbeiten von den Studierenden, so auch dieses Mal.
"In Ihren Portfolios stecken so viele gute Arbeiten, wie beispielsweise Ihre Spiele, und Reflexionen. Zwei von Ihnen habe ich gefragt, ob ich Sie zitieren darf. Ich darf, und gerne auch namentlich."

 

Gestaltung des Unterrichtes

[Zentarra, Luisa. Portfolio. Lehrveranstaltung Consulting. Bachelor-Studiengang Wirtschaftsinformatik. Mannheim, DHBW Mannheim 2019: S. 19 f]


Nachdem ich die Inhalte aus den Seminaren behandelt habe, reflektiere ich die Gestaltung des Unterrichtes. Dabei gehe ich auf die Aspekte ein, die mir neue Erkenntnisse geliefert und meine Kompetenzen als Beraterin verbessert haben.


Visualisierungen: "Visuell ist in!" So hatte die Dozentin zu Beginn des Seminars auf meine Frage geantwortet, ob ich meine Ergebnisse nicht aufschreiben statt aufmalen kann. Diese Frage hatte ich gestellt, da ich Bedenken hatte, ob meine Ergebnisse richtig bei den anderen Studierenden ankommen, wenn ich sie nicht aufschreibe. Mir ist im Verlauf der Seminare jedoch klargeworden, dass ich meine Ergebnisse durch die Visualisierungen gut vermitteln konnte und die anderen Studierenden sogar aufmerksamer waren. Dies war für mich eine neue Erkenntnis, die ich mit in mein Berufsleben nehmen werde.


Reflexionen: Zu Beginn der meisten Veranstaltungen haben wir eine spielerische Reflexion der vorangegangenen Veranstaltung durchgeführt. Diese haben jeweils zwei von uns Studierenden vorbereitet und geleitet. Dadurch konnten wir unser erlerntes Wissen wiederholen und vertiefen. Zudem konnten diejenigen die die Reflexion geleitet haben, an ihrem selbstbewussten Auftreten feilen.


Sitzordnung: Bevor eine Seminarveranstaltung zu den Modulen Consulting I und Consulting II begann, hieß es immer „Tischerücken“. In den Seminarveranstaltungen haben wir dann so gesessen, dass die Dozentin oder der der etwas vorgestellt hat, in der Mitte und nicht vorne stand.

 

Abbildung 10: Seminarveranstaltung [Fußnote] 13
Abbildung 10: Seminarveranstaltung [Fußnote] 13

 

Anfangs war ich der Meinung, dass der Aufwand durch das Tischerücken, den Nutzen überwiegt. Im Laufe der Seminare ist mir jedoch klargeworden, dass die Seminarveranstaltungen dadurch interaktiver waren und wir uns mehr beteiligten, sodass durchaus ein großer Nutzen entstand. Mir ist aufgefallen, dass bei den Veranstaltungen oft alle mitgemacht haben und keiner der zum Beispiel hinten saß, abgelenkt war.

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[Fußnote] 13 Eigene Darstellung vom 20.04.2019.

 

Buddy-Reflexion

[Lühmann, Jan. Portfolio. Lehrveranstaltung Consulting. Bachelor-Studiengang Wirtschaftsinformatik. Mannheim, DHBW Mannheim 2019: S. 10 f]


Als weitere Ebene der Reflexion im Rahmen von Consulting II haben sich die Studierenden einen Buddy (engl. Partner) gesucht. Aufgabe war es sich nicht nur selbst zu reflektieren, sondern auch die Reflexion des Buddies zu analysieren und vorzustellen. Mein Partner für die Buddy-Reflexion ist […].


Ein erstes Ziel der Buddy-Arbeit ist die Korrektur der vier Reflexionen aus dem zweiten Kapitel dieses Portfolios. Durch diesen Austausch konnten wir Fehler ausbessern und die Qualität der Reflexion steigern. Wie in der Abbildung 2 anhand von zwei Beispielen dargestellt, visualisieren mein Buddy und ich in einem weiteren Schritt die jeweils andere Reflexion und stellen sie auf diese Weise dem Kurs vor. Durch diese Vorstellung habe ich gelernt Fremdeinschätzungen gezielt wiederzugeben. Zudem konnte ich durch die Wiedergabe meiner Reflexion aus einer fremden Perspektive die Selbsteinschätzung mit der Fremdeinschätzung vergleichen und so Rückschlüsse auf meine eigene Reflexion schließen. Mir wurde zudem deutlich, dass eine genaue Formulierung in meiner Reflexion wichtig ist, um Sachverhalte dem Leser unmissverständlich darzustellen.


Der Buddy-Partner stellte sich nicht nur als sinnvoll für die einzelnen Reflexionen heraus, sondern auch darüber hinaus ist es hilfreich. […] und ich konnten uns gegenseitig über Seminarinhalte informieren und austauschen sowie an Deadlines erinnern.


Die Buddy-Reflexion hat mir gezeigt, dass das Arbeiten mit einem festen Partner viele Vorteile hat. Bei Terminen, die ich nicht sofort in meinen Kalender eintrage, kann es passieren, dass ich diese vergesse oder viel zu spät an diese denke. Eine umfangreiche Terminvorbereitung ist in solchen Fällen mit viel unnötigen Stress verbunden. In Consulting II hat mein Buddy diese Schwäche von mir ausgeglichen, weshalb ein fester Buddy auch für den Beruf und das Private sehr sinnvoll ist.

Noch ein Buch … von den Studierenden?!

Am ersten Tag der Lernveranstaltung Consulting sage ich den Studierenden: "Sie wissen bereits sehr viel, auch über Beratung. Sie haben Berufs- und Lebenserfahrung, auch mit Anfang zwanzig. Diese Lernveranstaltung dient dazu, dieses Wissen zu explizieren, also aus dem Verborgenen zu holen, zu strukturieren und Neues dazu zu lernen. Meine Aufgabe ist, Ihnen das zu ermöglichen. Machen müssen Sie selbst." Zweifelndes, fragendes Gucken. "Und Sie werden sehen, Sie alle zusammen könnten ein Buch über Consulting schreiben."


Diese Idee taucht jetzt, zu Beginn meines Lehr-Sabbaticals, wieder auf und ich habe den Studierenden am vergangenen Freitag gesagt: "In Ihren Portfolios steckt so viel drin. Überlegen Sie es sich: Wollen Sie Kapitelautor in einem Buch werden?" - "?" - "Es ist etwas Besonderes für Ihr Profil." - "Aha." - "Und es könnte so funktionieren: Sie überarbeiten Ihre Portfolios. Ein paar Sachen habe ich ja gefunden. Die zwei Buddy-Paare, die erst am Tag 8 und Tag 9 ihre Unterrichtsreflexionen gemacht haben, nehmen diese noch mit in ihr Portfolio auf. Dann entscheiden Sie, welche Teile Ihres Portfolios Sie veröffentlichen möchten. Einiges ist ja sehr persönlich. Vielleicht wollen Sie das herausnehmen. Ich fungiere als Herausgeberin, Autorin und Lektorin. Ich schreibe eine Einleitung und ein Fazit. Aufgabe des Verlages ist der Buchsatz et cetera. Es wird wohl kein Bestseller, aber es kann ein sehr gutes Buch werden: andere können durch Ihre Beispiele lernen und von ihnen inspiriert werden. Honorare? Meine Verlegerin sagt: wir haben wenig Geld, wir werden uns etwas einfallen lassen."


Wir werden in unserem virtuellen Kursraum auf der e-Learning-Plattform der Hochschule in diesem Sommer in Kontakt bleiben. Ich bin gespannt, zu welchen Schlüssen und Entscheidungen die Studierenden kommen. Da einige auch neue Modelle entwickelt haben, sind sie an einer Publikation interessiert. "Dann ist klar: es ist von Ihnen."

Schlusswort und Ausblick … der Studierenden

"Das spannendste am Thema der Nachhaltigkeit im Wirtschaftsraum war, dass mich mein Interesse daran so überrascht hat. Eigentlich hatte ich vorher nicht groß daran gedacht. Vielleicht mal auf das eine oder andere geachtet, aber dass Nachhaltigkeit und ökonomischer Erfolg zusammengehen können, das hätte ich nicht erwartet. Ich werde mich sicher weiter damit beschäftigen."


Ungefähr mit diesen Worten stellte ein Student das für ihn herausragende Thema in seinem Portfolio vor. (Sie haben sich außerdem in einem freien Kurzvortrag dazu geäußert, wie sie den Erstellungsprozess auch und gerade mit ihrem Buddy erlebt haben, und was sie zu den Kommentaren der Dozentin sagen wollen.) Hocherfreut bin ich darüber, dass einige Studierende dieses für sie unter diesem Aspekt neue Thema so begeistert aufgenommen haben und privat und zum Teil auch beruflich weiter verfolgen wollen. Ich hatte es gehofft, nachdem wir am Tag 3 Consulting dieses Thema behandelt haben (Blog 16 Mar 2019 Sustainability and Business), aber nicht in diesem Ausmaß erwartet.

Abschied und Wiedersehen

Bislang hatte Consulting an Mittwoch- und Donnerstagnachmittagen stattgefunden. Der Freitagnachmittag war also eine Ausnahme. Zum Glück lag der Unterrichtsraum neben dem Büro der Hausmeister. Also konnten wir auf im wahrsten Sinne des Wortes kurzem Weg nach einem Flipchart und einem Moderationskoffer fragen.


"Jetzt?" grinste einer der drei guten Geister. "Es ist doch Freitagnachmittag, da gehen die Leute nach Hause." - "Machen wir ganz bestimmt, aber ein bisschen sind wir noch hier." - "Ja, ich auch." - "Wie lange?" - "Bis sieben." - "Oh, schön. Naja, Sie verstehen schon." - "Klar." Und gab uns Flipchart und Koffer.


Als die Studierenden weg waren, reichte ich ihm den Koffer rein. "Ich muss nur noch ein paar Fotos machen." - "Lassen Sie sich Zeit. Ich bin ja da." Fotos gemacht. Aufgeräumt. Zu ihm ins Büro. "Ich möchte mich von Ihnen verabschieden." Er saß am Schreibtisch und sah etwas erstaunt auf. "Ich mache eine Pause, ein Sabbatical. Ein Jahr." - "Oh!" - "Es ist immer schön mit Ihnen und Ihren Kollegen." [Blog 30 Aug 2017 4 Jobs - ganz am Schluss] - "Das werde ich gerne weitergeben." - "Das ist schön." Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und streckte seine Hand aus: "Ich hoffe, ich sehe Sie dann in einem Jahr wieder." Und schüttelte mir die Hand. - "Ja." - "Alles Gute!" - "Das wünsche ich Ihnen und Ihren Kollegen auch."


Christa Weßel - Montag, 06 Mai 2019


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