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Krank oder nicht krank oder gesund

Christa Weßel 2015 Ausruhen

Im dritten Herbst der Pandemie  - und darüber hinaus - ist es wichtig, dass erkrankte Menschen sich Erholungszeit nehmen und Menschen in ihrer Umgebung ihnen diese ermöglichen. Dies kann auch bedeuten, Menschen, die noch geschwächt zur Arbeit erscheinen, wieder nach Hause zu schicken, oder sie digital aus ihrem Home-Office zu werfen. Dann haben sie Zeit für 

Rekonvaleszenz

Gesund zu werden bedeutet, dass _nach_ dem Abklingen akuter Symptome weitere Zeit vergeht, bis Sie wieder vollständig gesund sind. Also vollständig körperlich, seelisch und sozial belastbar sind. Zur Definition von Gesundheit siehe beispielsweise die Ottawa Charta der WHO(*). Beispiele für akute Symptome sind Fieber bei einer Infektion oder Gips nach einen Knochenbruch. Das Fieber ist weg, aber Sie sind noch schwach. Der Bruch ist knöchern überbrückt. Der Gips wird entfernt. Sie können die Extremität wieder bewegen, aber Sie müssen Ihre Muskeln nach Wochen der Ruhigstellung wieder aufbauen. Die klarste Definition von Rekonvaleszenz ist für mich die Übersetzung in dict.cc(*). Für "convalescence" ist dort gelistet Erholung [!], Genesung [!], Erholungszeit, Rekonvaleszenz, Genesungszeit, Gesundung [!], Konvaleszenz, Wiedergenesung [!]. Die "[!]" sind von mir.

 

"aber ich muss doch ..."

kommt von Menschen im Arbeitsleben und auch von Studierenden. Das Folgende ist aus dem Buch "Andere arbeiten lassen ... Lernen und Lehren an Hochschulen mit dem Aal."

 

Krank oder nicht krank

Im April 2019 ging es wieder einmal auf das Semesterende an der DHBW zu. Es gibt Studierende, die sich blass und noch geschwächt von ihrer schweren, akuten Erkrankung in die Hochschule schleppen, so auch in einem meiner Seminare.

Rekonvaleszent bedeutet nicht Gesund-sein. 

„Was machen Sie hier?“ – „Ich habe doch schon so viel verpasst.“ Dies war der Anlass, allen Studierenden dieses Seminars eine kleine Ansprache zu halten: „Denken Sie daran, Sie müssen ungefähr noch fünfzig Jahre arbeiten. Bis 2070 sind wir vielleicht bei einem Rentenalter von siebzig.“ Zustimmendes Grinsen und Nicken. „Leider ist in unserer Leistungsgesellschaft der Gedanke an die Bedeutung der Rekonvaleszenzphase ziemlich verloren gegangen. Nach einer akuten Erkrankung sind Sie nicht sofort wieder fit. Sie müssen sich erholen. Sie brauchen je nach Art der Erkrankung eine bis mehrere Wochen, manchmal auch Monate, um wieder geistig und körperlich – das lässt sich übrigens nicht wirklich trennen – vollkommen leistungsfähig zu sein. Wenn Sie zum Beispiel eine echte Grippe mit vierzig Grad Fieber haben und eine Woche platt im Bett liegen, dauert es nochmal zwei bis drei Wochen, bis Sie wieder ganz auf der Höhe sind. Denken Sie also daran: gehen Sie nicht zu früh wieder arbeiten, an die Hochschule oder in eine Prüfung. Das, was Sie Ihrer Gesundheit jetzt antun, holt Sie in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wieder ein. Außerdem ist niemandem, weder Ihnen noch Ihren Kollegen und Ihren Familien und Freunden damit geholfen, wenn Sie wie ein Schluck Wasser in der Kurve liegen und versuchen, zu arbeiten oder eine Prüfung zu bestehen.“

(Weßel 2019, Andere arbeiten lassen, S. 152-153)

 

Der Student blieb erst einmal zuhause und erholte sich. Brach davon sein Studium zusammen oder seine Lerngruppe? 

 

Zusammenbruch? Nein

Unser System, unsere Systeme, unsere Gesellschaft brechen nicht zusammen, weil einige Menschen nicht an ihrem Arbeitspatz sind. 

 

Diese Gefahr entsteht erst, wenn zu viele Menschen immungeschwächt sind, weil sie sich nicht richtig erholen und dann anfälliger für Infektionen sind und / oder Fehler machen beispielsweise im Straßenverkehr oder in ihrer Arbeit und / oder psychisch leiden. Wir können mit deutlich weniger Aufwand als wir allgemein annehmen unsere Ziele erreichen. Studierende in Prüfungsvorbereitungen wissen das. Beschrieben hat dieses Prinzip ein Ökonom vor fast hundert Jahren. 

 

Aufwand und Wirkung

Das Folgende stammt aus dem Buch "Werkzeuge: Von 8+1 W bis Smarte Ziele"

 

Pareto-Regel und ABC-Analyse

Wenn du denkst, du bist langsam, bist du immer noch zu schnell.

(Taucherspruch)

Dem italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto haben wir es zu verdanken, dass ein "gut genug" im Einsatz von Ressourcen wohlbegründet ist. Die von ihm formulierte Pareto-Regel besagt, dass 20 Prozent des Aufwandes 80 Prozent des Ergebnisses bewirken (A). Weitere 50 Prozent machen die nächsten 15 Prozent des Ergebnisses aus (B). Die übrigen 30 Prozent sind für die noch verbleibenden 5 Prozent des Ergebnisses erforderlich (C). Die Pareto-Regel bildet, den Ausgangspunkt für eine ABC-Analyse. Mittels einer ABC-Analyse lässt sich ermitteln, wo jemand in welchem Umfang aktiv werden sollte.

Gut kann auch bedeuten, besser als die anderen zu sein. Zur Exzellenz gehört zu wissen, wann es genügt, besser zu sein als andere. Darin unterscheidet sie sich von der Perfektion, dem Anstreben von hundert Prozent. Natürlich gibt es Gebiete, in denen das Streben nach Perfektion erforderlich ist, wie Staudämme, Kraftwerke, Flugzeuge oder Operationen.

[...] 

Abbildung 1.8: Pareto-Regel und ABC-Analyse (Weßel 2017, S. 79)

Abbildung 1.8: Pareto-Regel und ABC-Analyse

 

(Weßel 2017, Werkzeuge, S. 78-79)

 

Es geht also um Fokus (Blog 13 Juli 2022).

 

Auf die wichtigen Bereiche achten

Unser Augenmerk müssen wir auf die entscheidenden Bereiche und zentrale Prozesse (crucial sectors and central processes) richten und vor allem die Menschen, die dort tätig sind unterstützen und entlasten. Krankenpflege, ärztliche Versorgung, die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln, Strom und Wasser, die Entsorgung von Müll und Abwasser sowie die Bereitstellung der digitalen Dienste und des Stroms, öffentlicher Personenverkehr, Polizei und einige mehr. Schulen und Kitas gehören auch zu diesen (*: Weßel, 2021, S. 80). Die in meinen Augen klarste Zusammenstellung dieser Sektoren und das Vorgehen zu ihrem Schutz gibt es beim Government of the Netherlands(*).

 

und die unwichtigen erkennen

Eine große Gefahr sehe ich für Menschen im Home-Office. Einige schleppen sich auch krank an den Rechner oder holen sich das Notebook ins Bett, um wenigstens ein bisschen zu arbeiten. So schrieb kürzlich eine Frau, mit der ich in technischen Fragen zu meinen Büchern zusammenarbeite, dass ihre Antwort so verzögert komme, weil sie gesundheitlich etwas angeschlagen sei; da dauere alles ein wenig länger. Nein! Gar nicht an den Schreibtisch! Die Welt und vor allem ich können auf das warten, was sie für meine Bücher tun wollte. Das rennt nicht weg. Und ist definitiv kein "crucial sector". Ich habe ihr geschrieben, dass ich erst mit einer Antwort rechne, wenn sie wieder fit ist. 

 

Verantwortung für sich und andere

Es liegt also an jedem Menschen, sich entsprechend zu verhalten, und für andere einzustehen, die Erholung brauchen. Akut im Alltag, wenn mal wieder ein:e rekonvalszente Kolleg:in zur Arbeit erscheint - nach Hause schicken - und grundsätzlich in Ihrer Organisation (Unternehmen, Hochschule, Schule, Behörden und viele mehr) die Kultur, den Umgang miteinander so (mit)gestalten, dass Rekonvaleszenz und Prävention von Erkrankungen (Metiquette & Co) selbstverständlich werden. Metiquette: Abstand, Hygiene, Lüften und Masken dort, wo Abstand nicht möglich ist, tut uns allen gut. Vor der Pandemie, in der Pandemie, nach der Pandemie.

 

Christa Weßel - Mittwoch, 07 Dezember 2022

 

(*) Lesestoff