· 

Sozioinformatik: Kapitel "Leben 4 Punkt 0"

… Das Buch mit dem Biber

Heute habe ich den Druck des Buches freigegeben. Damit rückt die Veröffentlichung wieder ein Stück näher. Zunächst geht es hier weiter mit den Leseproben und zwar mit dem Leben 4.0. Darin auch etwas zum digitalen Zeitalter & Leben in Zeiten einer Pandemie wie Corona.

Leben 4.0: Mehr als das Internet of Things

Seit den 1980ern verbreiten sich Globalisierung und Liberalisierung vor allem der Wirtschaftsmärkte und seit den 1990ern das Internet und das World Wide Web. Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt dies als „Ende vom Anfang der Spätmoderne“ und fragt, ob die global-digitale Spätmoderne nach einer offen-experimentellen ersten Phase in eine stärker regulierte zweite Phase übergeht, ausgelöst auch durch die Corona-Pandemie in den ersten Monaten des Jahres 2020 (Reckwitz 2020). Das Hinzukommen des dritten Faktors wird zum Auslöser einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung.

 

Eine in den ersten Monaten der Pandemie für viele Menschen nützliche Auswirkung war die Möglichkeit, zuhause zu arbeiten, von zuhause aus einkaufen zu können und seine Freizeit mit Digitalem zu gestalten: Kommunikation mit Freunden und Familie, Filme und Spiele. Manche, insbesondere Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene in finanziell und sozial nicht guten Situationen, haben gelitten. Es bedeutete für einige (viele?) Kinder und Jugendliche erheblichen Aufwand, in der Schule mitzuarbeiten, beispielsweise, wenn sie zuhause keinen Internetzugang hatten und mit Smartphones auf die Suche nach offenen WiFi-Punkten gingen. Jeden Tag. Und die Isolation verhinderte das, was Kinder und Jugendliche noch mehr brauchen als Erwachsene: den unmittelbaren persönlichen und körperlichen Kontakt mit ihren Freunden, Mitschülern und anderen (Reiter 2020, Füller 2020, Otto 2020).

 

Als 2008 der Film Wall-e in die Kinos kam, entstand zu dieser Zeit ein allgemeineres Bewusstsein auch zu den Gefahren einer Lebenswelt 4.0. Lassen Sie sich von Wall-e und Eva bezaubern und vielleicht haben Sie einige Antworten auf die Fragen zum Film.

 

*4.0 … nur noch rumliegen?

Technik macht menschliches Leben in mancherlei Hinsicht bequemer. Dass dies nicht nur positive Wirkung zeigt, ist bereits seit einigen Jahrzehnten an der Zunahme sogenannter „Zivilisationskrankheiten“ meist in Folge von Bewegungsmangel, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, Übergewicht und/oder Fehlernährung zu erkennen. (Fehlernährung bedeutet zum Beispiel, dass Sie sich aufgrund einseitiger Ernährung einen Vitamin- oder Eisenmangel zuziehen.) Wie extrem sich dies – vielleicht? – entwickeln könnte, zeigt der Film Wall-e (Stanton 2008).

 

Wo und wie leben die Menschen?

Was ist mit der Umwelt auf der Erde passiert? Und

warum?

Welche Kompetenzen haben jeweils Wall-e und Eva:

fachlich, methodisch, sozial?

In welcher „Realität“ leben die Menschen?

Wie kommt es dazu, dass Menschen so leben?

Wer steuert das Leben der Menschen?

Wie erfolgen Entscheidungen?

Wie kommt es zum Umdenken der Menschen?

Was tun sie dann?

 

Große Veränderungen wie die Kombination aus Globalisierung, Digitalisierung und einer Pandemie können zu einem Gefühl der Einschränkung und Fremdbestimmung führen. Es tauchen Fragen auf wie: Was kann ich da noch tun? Welchen Sinn hat das?

 

Sinn des Lebens?!

Menschen können entscheiden, was ihnen wichtig ist, wie sie zu einer Sache stehen und wie sie leben. John Steinbek (1902–1968) hat dies wunderbar in „East of Eden“ („Jenseits von Eden“) beschrieben (1952): timshel (hebrew) – thou mayest … decide which route you take. (du kannst entscheiden … welchen Weg du einschlägst).

 

Dass dies auch in Zeiten der Einschränkung und sogar des Leids gelten kann, hat der Entwickler der Logotherapie (Logos: das Wort, der Sinn) Viktor Frankl (1905–1997) gezeigt. Er postuliert: Wir, jede/r von uns hat jederzeit die Freiheit und damit auch die Verantwortung, sich zu entscheiden. Er schreibt unter anderem in „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“ (1985) über drei Wege zum Sinn.

 

 

Jemanden oder etwas lieben und durch diese Liebe sein oder ihr Potential zu wecken. Der andere wächst durch diese Liebe.

 

Etwas er-schaffen. Etwas bauen, organisieren, musizieren, schreiben, malen, programmieren, …

 

Mit Würde durch schwere Zeiten gehen.

 

Was gerade das Dritte bedeutet, wusste Viktor Frankl sehr genau. Er war während des Nazi-Regimes in mehreren Konzentrationslagern. Ein Kollege meinte nach einigen Monaten Corona-Pandemie: „Das bringt einen sehr gut wieder auf den Boden der Tatsachen. Ein paar Monate oder auch Jahre mit körperlicher Distanz umzugehen, meine und unsere derzeitigen Lebensformen zu hinterfragen und komplexe Projekte durchzuführen, ist dann nicht mehr schwer. Es sind einfach Aufgaben.“

 

Die digitale Generation

An sie hat der französische Philosoph Michel Serres eine Liebeserklärung gerichtet. In seinem Essay „Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation“ (2013) stellt er unterhaltsam und tiefgründig dar, wie die nach 1990 Geborenen mit Gedächtnis, Denken, Reflexion, Ruhe und Zeit für sich allein umgehen, welche Kreativität und Lebensfreude sie haben (können) und was wir Älteren von ihnen lernen können – und sie von uns.

 

Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, die digital natives, bereichern Arbeits- und Privatwelten um neue Lebensarten. Die Älteren sind zum einen sogenannte digital immigrants. Dies sind Menschen, die den Umgang mit Computern erlernt haben, weil sie sie in ihrem Berufs- und Privatleben nutzen wollten oder mussten. Außerdem gibt es digital founders. Diese haben an der Entwicklung von Computern und des Internets mitgewirkt und tun es weiterhin. Es sind nicht nur Informatiker sondern auch die, die sich nächtelang und auch am Tag im Netz bewegen und dies schon zu Zeiten von Telefonmodems für den Austausch und die gemeinsame Arbeit an Datenbanken, Systemen und auch Spielen genutzt haben. Ihre Ansprüche und ihre Arbeit im Netz gestalten weiterhin unsere digitale Lebenswelt. Die Mischung macht’s: gemeinsam sind Menschen dieser drei Gruppen am stärksten (Weßel 2017 II).

 

In vielen Bereichen ist es selbstverständlich, digitale Medien orts- und zeitunabhängig zu nutzen. Es handelt sich vor allem um die „Kopfarbeit“. Die Corona-Pandemie hat in den ersten Monaten des Jahres 2020 gezeigt, wie schnell und umfassend sich dies ausdehnen kann. Vor allem die digital natives, aber auch ältere Menschen, haben sich rasch sowohl in ihrer Arbeit als auch in ihrem Privatleben umgestellt. Eine junge Frau, die mir gestattet hat, ihre Reflexionen zu Corona in dieses Buch aufzunehmen, schrieb im August 2020

 

Ja, mir und meiner Familie und Freunden geht es gut – zum Glück.

 

Es sind verrückte Zeiten. Ich hoffe, Ihnen geht es auch gut und bei Ihrem Umzug ist alles gut gegangen.

 

Ich bin nun seit Mitte März im Home Office und pendel zwischen meiner Wohnung in [Stadt im Rhein-Main-Gebiet] und meiner Familie in [Süddeutschland]. Anfangs war das reine Home Office sehr anstrengend. Kein Flurfunk, keine schnellen Abstimmungen, kein persönlicher sozialer Kontakt mehr. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber ich freue mich nun, dass wir so langsam wieder in die Büros zurückkehren können. Aktuell bin ich auf den Weg in den Urlaub. Eine Woche an der Nordsee ist ein kleiner Trost zu der eigentlichen [afrikanisches Land] Rundreise, die wir für dieses Jahr geplant hatten.

 

Aber die Zeit hat vielleicht auch etwas Gutes. Ich konnte mich sehr gut auf mich selbst konzentrieren … Und Sie hatten die Ruhe, sich mit dem Biber zu befassen :)

 

Allerdings ist eine solche Umstellung nur bis zu einem gewissen Grad möglich: Krankenpflege, die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln, Strom und Wasser, die Entsorgung von Müll und Abwasser sowie die Bereitstellung der digitalen Dienste und des Stroms, öffentlicher Personenverkehr, Polizei und einige mehr sind und bleiben entscheidende Bereiche und zentrale Prozesse (crucial sectors and central processes). Schulen und Kitas gehören auch zu diesen (Government of the Netherlands 2020).

 

Auch Menschen im Home Office spüren, welche Einschränkungen eine vor allem digitale Kommunikation mit sich bringen kann. Einen Monat nach der E-Mail vom August 2020 schrieb die junge Frau Das merke ich derzeit sehr stark in unserem Unternehmen.

 

Mittlerweile darf man – unter Einschränkungen – wieder freiwillig ins Büro zurückkehren. Viele unterstützen das nicht und bleiben im homeoffice. „Es funktioniert doch alles“ höre ich von vielen Leuten. 

 

Ich teile da eine andere Einschätzung. Unabhängig von Corona: Die Mischung machts.

 

Homeoffice hat seine Vorteile und viele Unternehmen sind hier noch zu skeptisch im Bezug auf die Arbeitsleistung zuhause. Aber NUR im homeoffice zu sein, macht die Menschen m.E. träge. Die Menschen verlieren an Kreativität, da diese vor allem in Meetings mit persönlichem Kontakt zu seinen Kollegen entsteht. Die persönliche Kommunikation kann auf Dauer nichts ersetzen.

 

Internet, Word Wide Web und Social Media ermöglichen und unterstützen „home office“ und „physical distancing“. Dies kann positive und negative Auswirkungen haben. Grenzen von Privat- und Arbeitsleben verschwinden. Wie ist es um die Balance bestellt? Selbstbestimmung kann zunehmen, aber auch durch ständige Erreichbarkeit abnehmen. Corona hat außerdem die Gefahren der sozialen Isolation durch körperliche Isolation gezeigt.

 

Die zügige und starke Umstellung auf digitale Lebensweisen ist auch durch das Internet of Things, das Internet 4.0, möglich geworden.

 

Internet of Things … was wir beachten sollten

Im Internet der Dinge/ Internet 4.0/Internet of Things sind Rechner und Maschinen und auch Menschen miteinander verknüpft. Dies reicht vom Füllen Ihres Kühlschrankes durch einen Lebensmittelhändler, dem der Inhalt Ihres Kühlschrankes angezeigt wird, bis hin zur Steuerung einer Insulinpumpe an oder in einem Menschen durch eine Software in einem Versorgungszentrum.

 

Bei medizinischen Erfordernissen stimmen viele Menschen dem noch zu. Wollen Sie „ jeden“ an Ihren Kühlschrank, also in Ihre Wohnung lassen?

 

Vier Aspekte im Hinblick auf die Souveränität von Individuen, Gruppen, Unternehmen und anderen Organisationen, Staaten und global möchte ich mit Ihnen hier betrachten.

 

Entscheidungsmacht

Technisch ist es möglich, jedes denkbare Gerät an das Internet anzuschließen. Die erste Frage lautet: Ist es erforderlich? Die zweite: Will ich, wollen wir das? Sprich, grundsätzlich ja oder nein sagen zu können. Drittens, falls Frage 2 mit Ja beantwortet wurde: Kann ich das Gerät vom Netz nehmen, beispielsweise für eine bestimmte Zeitspanne? Oder dem Gerät eine andere Entscheidung geben als die, die es selbst wählt?

 

Beispiel: Kühlschrank

Er registriert: ich bin leer. Meldet sich also beim Supermarkt: pack eine Kiste mit den Lebensmitteln und Getränken x,y,z und schicke sie an meine Adresse.

Sie können das noch fortführen: der Mensch muss nicht einmal mehr den Kühlschrank füllen, sondern das erledigt ein Roboter.

 

Real Time Data

Wenn Daten Basis für Entscheidungen sind, die sowohl Maschinen als auch Menschen treffen, müssen diese Daten in Echtzeit vorliegen, zuverlässig und robust sein. Sie müssen die Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit erfüllen.

 

Beispiel: Smart City

Robuste, zuverlässige und zeitnahe Daten sind zum Beispiel im Fall der Verunreinigung der Trinkwasserversorgung von Bedeutung, da diese eine Entscheidung hinsichtlich des Abschaltens der Trinkwasserversorgung und die Information der Bevölkerung nach sich zieht.

 

Treibende Kräfte 

oder auch „Treiber“ genannt. In den Anfängen gehörten vor allem die Unternehmen dazu, die Hard- und Software für das Internet of Things anbieten. Frühe Akzeptanz haben diese Technologien zum Beispiel in der Logistikbranche gefunden, um die beiden Ansätze just in time and just in sequence verwirklichen zu können. Weitere Akteure sind Kommunen und Unternehmen, die sowohl Auftraggeber als auch Nutzer sein können. Auch der Bürger hat eine hohe Bedeutung sowohl als Nutzer als auch als Mitgestalter des Internet of Things. Das Heft Informatik-Spektrum Nummer 1/2017 bietet einen sehr guten Überblick dazu und geht dabei vor allem auf Smart Cities ein.

 

Sprache 

Geräte und Technologien mit unterschiedlicher Herkunft, Aufgaben und Alter sprechen wie Menschen unterschiedliche Sprachen. Also gilt es, Fragen zu Schnittstellen, Protokollen und Sprachen zu lösen.

 

Außerdem müssen Daten lange haltbar sein. Sehr schnell kommen mehrere Jahrzehnte zusammen, beispielsweise in der Medizin oder in der Raumfahrt. Also müssen auch spätere Anwendungen „alte“ Dokumentationen (aus)lesen können.

 

Menschen aus der digitalen Generation pflegen meiner Erfahrung nach einen reflektierten Umgang mit dem Leben 4.0 und der Globalisierung, sobald sie auf dieses Thema aufmerksam werden, zum Beispiel durch eine Frage.

 

Think globally – act locally

„Woran denken Sie, wenn Sie diesen Satz hören?“ lautete die Eingangsfrage im dritten Workshop „Internationalisierung & Globalisierung“ der Workshopreihe Sozioinformatik im Sommer 2017 (Kapitel SOZIOINFORMATIK LERNEN). Die Studierenden nannten vor allem drei Stichworte: Veränderung, Verantwortung und Inspiration. Sie beschrieben diese Begriffe näher:

 

Veränderung: Wenn Du etwas verändern willst, fang bei Dir selbst an. Beispiel: Kommunikation.

 

Verantwortung: Sei Dir Deiner Verantwortung bewusst  und denke auch an die Konsequenzen, die Deine Veränderungen haben können. Beispiel: Autofahren und Klima in der Antarktis.

 

Inspiration: Schau über Deinen Tellerrand und lass Dich von dem inspirieren, was andere tun. Beispiel: Neue Produkte, Dienstleistungen, Aktivitäten – politisch, gesellschaftlich, …

 

Sie fügten hinzu: Wie und wie weit sich dieses umsetzen lässt, ist auch von der jeweiligen Kultur und den Lebensbedingungen abhängig. In der Entwicklung, Verbreitung und Pflege von Computer & Co geht es um Technik und um Kultur(en). Wie sind Menschen und Technik verknüpft? Welche Wechselwirkungen gibt es? Um diese Frage beantworten zu können, verwendet die Sozioinformatik eine gut hundert Jahre alte Forschungsmethode, die Völkerkundler entwickelt haben, die NETZWERKANALYSE.

 

aus: Weßel C. Sozioinformatik: Von Menschen & Computern … und Bibern.  

ISBN 978-3-947287-07-9. 

Weidenborn Verlag 2021 | S. 76-84.

 

Inhaltsverzeichnis: blog 28 Nov 2020

 

Christa Weßel - Freitag, 11 Dez 2020

 

 

[Mo, 04 Jan 2021: Buch Sozioinformatik erschienen …]

 

Blogrubrik social informatics 

 

 

< Sozioinformatik - Kapitel 1    heute   Corona Impfstoff und Strategie >