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Sozioinformatik: Kapitel "Netzwerkanalyse"

… Das Buch mit dem Biber

Wieder ein Schritt in der Buchproduktion: der Ladenpreis steht fest. Um ihn zu finden hat der Weidenborn Verlag das durchgeführt, worum es im heutigen Kapitel geht, eine Netzwerkanalyse. Ausgangspunkt war die Frage: Wer kann als Experte im Verlagswesen, als Buchhändler und als Leser einschätzen, wo der Preis für das Buch Sozioinformatik liegen sollte? Jede Netzwerkanalyse startet mit einer Ausgangsfrage. 

 

Netzwerkanalyse: Das Leben ein Netz

In der Sozioinformatik geht es um Netze: soziale, digitale, soziotechnische. Die Netzwerkanalyse hilft zu verstehen, wie diese Netze funktionieren. Wieder möchte ich Sie einladen, zunächst einen Kinofilm anzuschauen und einige Fragen zu beantworten.

 

Im Weltraum verteilte Teams

The Martian erzählt von einer Rettungsaktion, an der Menschen weltweit und im Weltraum beteiligt sind. Sie kennen vielleicht bereits das Buch (Weir 2011) oder den Kinofilm (Scott 2015).

 

Verteiltes Team

Was zeichnet es aus: fachlich, methodisch, sozial?

Wie ist es zusammen gesetzt?

Wie organisiert es sich?

 

Teammitglieder, Führungskräfte, Auftraggeber, Öffentlichkeit

Welche Aufgaben?

Welche Verantwortungen?

Welche Rollen?

 

Verteilte Teams unter Druck

Welche Teams bilden das verteilte Team?

Welche Rollen und Aufgaben einzelner Personen und Teams erkennen Sie?

Welche Phasen der Gruppen- und Teambildung erkennen Sie?

Wie erfolgen Kommunikation, Entscheidungen, Planungen, Problemlösungen und Ressourcenmanagement?

 

Im Dialog von Workshopteilnehmern entsteht oftmals eine interessante Netzwerkanalyse als Visualisierung an einer Tafel oder einem – sehr großen – Smartboard.

 

Lesestoff

Jacob Levy Moreno (1889–1974) war Arzt, Psychiater und Soziologe. Er hat in den 1930ern die Netzwerkanalyse zur Untersuchung und Interpretation von Gruppen, sozialen Strukturen und Beziehungen bekannt gemacht (Moreno 1974).

 

Zu einem Kollegen meinte ich während der Vorbereitung der Sozioinformatik-Workshops im Frühjahr 2017:Wenn ich noch ein Studium dranhänge, dann wird es Kulturanthropologie. Es kann auch gerne Ethnologie werden, denn diese Wissenschaft untersucht seit mehr als hundert Jahren soziale Netze. Hartmut Lang, Prof. em., und Michael Schnegg, Professor an der Universität Hamburg, haben einen sehr guten Einführungstext über die Netzwerkanalyse online gestellt (Schnegg & Lang 2002).

 

Außerdem bin ich über den Blog netzwerkanalyse.org (Klocke 2010) auf die May-June 2010 Ausgabe des Harvard Magazine gestoßen, in der sich Elizabeth Gudrais ausführlich mit historischen, sozialen, kulturellen, naturwissenschaftlichen und auch ökonomischen Aspekten von Netzwerken beschäftigt (Gudrais 2010). Auch lesenswert: Borgatti 1998, Easley & Kleinberg 2010, Hanneman & Riddle 2005.

 

Gewusst wie

Der Mensch ist ein soziales Wesen und Unternehmen und andere Organisationen sind soziale Systeme. Menschen, Gruppen und Organisationen sind Einheiten, die miteinander in Beziehungen stehen. Hinzu kommt die Technik, insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnik. Sie bilden sozio-technische Systeme und sind somit sozio-technische Netze.

 

In der Actor Network Theory (ANT, Latour 1998, siehe auch Kapitel Geschichte) sind Menschen und Artefakte die Knoten und ihre Beziehungen die Kanten. Sie sind die Verbindungen zwischen den Knoten. Dies lässt sich statistisch untersuchen und computergestützt visualisieren. Sie kennen dies vielleicht aus der Darstellung von Blogs oder der Untersuchung von Netzen in digitalen sozialen Medien. Hier sind die Blogs die Knoten und die Bezüge zu anderen Blogs sind die Kanten, zum Beispiel über die Blogroll. Bei der Untersuchung digitaler sozialer Medien sind die Accounts der Nutzer die Knoten und die Nachrichten mit einem bestimmten Stichwort (hashtag) die Kanten (Darius & Stephany 2020; im Kapitel Forschung & Entwicklung).

 

Die Netzwerkanalyse ist ein sehr gutes Instrument, um Zusammenhänge und die Art, wie Menschen – und Technik – zusammenarbeiten, zu verstehen und Motive, Ziele, Wünsche, Ideen, Ängste und Hoffnungen zu erkunden.

 

Zunächst einmal legen Sie fest, ob Sie ein geschlossenes oder ein offenes System untersuchen wollen. In einem geschlossenen System untersuchen Sie die Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander, zum Beispiel innerhalb eines Unternehmens. In einem offenen System fragen Sie auch nach Beziehungen nach draußen, zum Beispiel zu Kunden und Mitbewerbern.

 

Eine Netzwerkanalyse, sei die Gruppe noch so klein, ist alles andere als banal. Denken Sie an folgende Schritte beim Design der Fragebögen, der Datenerhebung, Dokumentation und Übertragung in ein Datenverarbeitungsprogramm:

 

Formulierung der Leitenden Frage.

Formulierung der Fragen zu Knoten und Kanten.

Kritische Prüfung der Fragen auf ihre Aussagekraft hinsichtlich der Leitenden Frage.

Jede Beziehung zu jeder/m erfragen.

Saubere Übertragung der erhobenen Daten in ein geeignetes Datenverarbeitungsprogramm.

Falls mehrere Personen an der Dokumentation und Auswertung beteiligt sind: Ein Versionssystem in der Cloud sicherstellen oder einen Arbeitsprozess beschreiben und befolgen, der verhindert, dass Daten verloren gehen oder verfälscht werden.

 

Berücksichtigen Sie bei der Entwicklung eines Fragebogens die Charakteristika soziodemographischer Daten wie Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen und Beruf. Fragen Sie sich, welche dieser Daten tatsächlich für diese Netzwerkanalyse erforderlich sind. Handelt es sich um eine Netzwerkanalyse innerhalb einer wissenschaftlichen Studie, besteht die Verpflichtung, vor Beginn eines Forschungsprojekts die Ethikkommission zu unterrichten und ihr Votum abzuwarten.

 

Stellen Sie Datenschutz und Privatsphäre sicher. Denken Sie an Anlässe und Gründe für einen eher nachlässigen Umgang mit eigenen privaten Daten im Netz (Internet, World Wide Web), beispielsweise die Hinterlegung von Geburtsdatum und anderen persönlichen und privaten Daten auf Social Media Plattformen. Das Netz vergisst nicht.

 

Wenn Sie zum Beispiel untersuchen wollen „Was unterstützt in unserer Gruppe das Lernen?“, entwickeln Sie vielleicht, wie wir es in den Workshops Sozioinformatik gemacht haben, in einem ersten Brainstorming als fördernde Faktoren gute Atmosphäre, Diskussionen, Dialog, interessantes Thema, Spaß, Abwechslung, bildlich, Ergebnisse, Arbeiten in der großen Gruppe, in kleinen Gruppen und zu zweit, Kaffee, Schokolade und Pausen. Diese und weitere Faktoren, die Sie außerdem identifizieren, können die Basis für Fragen zu Knoten und Kanten bilden.

 

Starten Sie mit einer Skizze der Beteiligten und einer Untersuchungen ihrer Beziehungen zueinander. Die Frage lautet nicht, wie gut die Beziehungen sind, sondern:

 

Wer steht warum und wozu mit wem in einer Beziehung?

Ist die Beziehung gerichtet? Also in einer Richtung? Oder ist es eine gegenseitige Beziehung?

Wer redet miteinander? Auch Artefakte (Technik) sprechen mit Menschen und miteinander.

 

Abb. 2: Netzwerkanalyse: Schwacher Knoten
Abb. 2: Netzwerkanalyse: Schwacher Knoten

 

Wichtig ist, zentrale Knoten und schwache Knoten zu identifizieren. Zentrale Knoten haben viele Beziehungen. Abbildung 2 zeigt, wie schwache Knoten die Brücke zwischen zwei Untergruppen bilden. Wenn sie ausfallen, spaltet sich das Netz. Wie ein Fischernetz reißt es an seiner schwächsten Stelle. Also werden Sie versuchen, das Netz zu stärken, indem Sie weitere Beziehungen zwischen den Knoten der beiden Teilnetze herstellen. Dies kann für Menschen beispielsweise durch gemeinsame Aufgaben in Projekten oder im Linienbetrieb erfolgen. Schwache Artefakte benötigen weitere technische Unterstützung.

 

Die Netzwerkanalyse ist eine von etlichen Methoden, die die Sozioinformatik zur Forschung & Entwicklung, Verbreitung und Pflege von Computer & Co beitragen kann.

 

aus: Weßel C. Sozioinformatik: Von Menschen & Computern … und Bibern.  

ISBN 978-3-947287-07-9. 

Weidenborn Verlag 2021 | S. 85-89.

 

Inhaltsverzeichnis: blog 28 Nov 2020

 

 

Da die Sozioinformatik noch ein paar weitere Methoden für die Welt von Menschen, Computern & Co bereithält, die gerade in Zeiten einer Pandemie wie Corona von Nutzen sind, soll die nächste Leseprobe in ungefähr einer Woche hier im Blog die ersten Seiten des folgenden Kapitels "Forschung & Entwicklung: technisch und sozial" enthalten.

 

Christa Weßel - Samstag, 19 Dez 2020

 

[Mo, 04 Jan 2021: Buch Sozioinformatik erschienen …]

 

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